Margrits Kolumne

Margrits Kolumne: Langsam zum Ziel

Selten wird eine Geschwindigkeit so gut beschrieben wie mit dem Wort „Schneckentempo“. Das Tier, das dafür herhalten muss, löst zwar keine Phobien aus wie Maus oder Spinne, ist aber trotzdem nicht gerade beliebt.

Es hat keine Beine, kriecht unbeschadet über Scherben und kann sich weder in die Luft erheben wie eine Mücke noch unter der Erde verschwinden wie ein Regenwurm.

Die Schnecke gibt keinen Laut von sich und ist vollkommen wehrlos. Dafür hinterlässt sie eine Schleimspur und klebt, wenn man sie anfassen will. Ihr Fressverhalten ist für Gartenbesitzer nicht gerade erfreulich. Mit Vorliebe vertilgt sie frisch gepflanzte Blumen und andere hübsche Pflanzen. Deshalb rückt der Mensch ihr mit allerlei todbringenden Methoden auf den schleimigen Pelz.

Doch wie in China Fledermaussuppe auf dem Speiseplan steht, isst man in Europa Achat- und Weinbergschnecken. Rezepte findet man im Internet. Mit 3 Schalotten, 1 Bund Petersilie, 4 Knoblauchzehen und 50 g Champignons kann man vier Dutzend Weinbergschnecken – mit ihrem Häuschen – überbacken. Achatschnecken sollen mit Zwiebeln und Weinbrand auf Kartoffelpüree vorzüglich munden …

Andererseits ist dieses Tier auch sehr empfindsam und kann sogar Zeichen der Zufriedenheit zeigen. „Schnecken faszinieren Kinder“, sagt Pädagogin Nina Richter von der Schule am Hardy/Niedersachsen in einem Interview. Gerade bei der Förderung von Feinmotorik seien beeindruckende Erfolge zu erzielen. So können Kinder mit eingeschränktem Sehvermögen die langsamen Bewegungen der Schnecke gut verfolgen. Gerade weil die Schnecken der natürlichen Lebensumwelt entstammen, ist ihr Einsatz im Mathe-Unterricht, im Kunstunterricht und im Deutschunterricht wertvoll. Der Schutz der Tiere hat dabei höchste Priorität, sagt die Förderschullehrerin mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung.

Ergibt sich die Frage: Ist nun die Schnecke ein Nutztier (Kochrezept), ein Schädling (Garten), ein Versuchstier (Zoologiepraktikum) oder ein Mitgeschöpf (Feinmotorik)? Sollte ihre Zuordnung nicht doch einmal überprüft werden?

Margrit Vollertsen-Diewerge, © April 2020