Am 3. Juli 2020 hat der Bundesrat einer Gesetzesänderung zugestimmt, die es ermöglicht, Muttersauen bis zu 10 weitere Jahre in sogenannten Kastenständen zu fixieren. Der Kompromiss, um den monatelang gerungen wurde, enthält zwar Verbesserungen für die Tiere. Dennoch sind sie weiterhin zu wochenlanger Bewegungsunfähigkeit verdammt. Von einem Erfolg für die Tiere zu sprechen, ist Schönfärberei.
Das Ringen um die Kastenstände begann bereits im Sommer 2019, als das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) seinen Entwurf der sogenannten »Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung« (TierSchNutztV) für die zukünftige Haltung von Sauen in Deutschland vorlegte. Die Tierschutzverbände waren fassungslos: Obwohl der tierquälerische Kastenstand bereits seit 1992 nicht mehr rechtskonform war, sollte mit der neuen Verordnung die Zwangsfixierung der Sauen für weitere 17 Jahre erlaubt werden.
Rechtsverstöße sollten legalisiert werden
Auch nach dieser skandalös langen Übergangszeit sollten die Kastenstände nicht abgeschafft, sondern mit einer verkürzten Fixierdauer bis auf unbestimmte Zeit weiter betrieben werden dürfen. Dabei ignorierte das BMEL mehrere Rechtsgutachten, die eindeutig belegen, dass dies gegen das Tierschutzgesetz, die Verfassung und die aktuelle Rechtsprechung verstößt. Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg hatte bereits 2016 geurteilt, dass die Sauenhaltung in Kastenständen nicht dem Tierschutzrecht entspricht.
Eklat in der Bundestierschutzkommission
Die Empörung über dieses Vorgehen war so groß, dass es zum Eklat in der Bundestierschutzkommission kam. Die Tierschutzvertreter, unter anderem der Bundesverband, weigerten sich geschlossen, eine Verordnung zu beraten, die Rechtsverstöße legitimiert. Nachdem der Tierschutz Sturm gegen den ursprünglichen Entwurf lief, arbeiteten die Länder unter Grüner Beteiligung einen Kompromiss aus. Doch auch dieser hätte den Kastenstand weitere zehn Jahre erlaubt und enthielt keine Vorgaben zum Ausstieg.
Weiter wochenlang fixiert
Nach massiven Protesten von einem großen Bündnis von Tierschutzverbänden wurde die Abstimmung im Bundesrat Anfang Juni 2020 um einen Monat verschoben, weil sich keine Mehrheit für einen neuen Entwurf fand. Am 3. Juli 2020 stimmte der Bundesrat und mit ihm die Mehrheit der Länder mit grüner Regierungsbeteiligung dann doch für den sogenannten „Schweinekompromiss“ der Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Der Kompromiss, um den monatelang gerungen wurde, enthält zwar Verbesserungen für die Tiere. Dennoch sind die Muttersauen weiterhin zu wochenlanger Bewegungsunfähigkeit verdammt. Die Kastenhaltung im Deckbereich, wo die Sauen besamt werden und den Großteil ihrer Schwangerschaft verbringen, soll in dem neuen Entwurf von einer Gruppenhaltung abgelöst werden. Danach sollen pro Sau fünf Quadratmeter Platz zur Verfügung stehen, allerdings erst nach einer nochmaligen Übergangsfrist und Leidenszeit von bis zu zehn Jahren.
Juristische Winkelzüge auf Kosten der Tiere
Ganz im Sinne der Agrarindustrie wurde zudem tief in die juristische Trickkiste gegriffen und die Vorschrift zum Ausstrecken in Seitenlage entschärft: Statt die engen Kastenstände konsequent zu verbieten, steht im Entwurf: Die Tiere dürften nicht an “bauliche Hindernisse“ stoßen. Sie stoßen auch nicht an bauliche Hindernisse, sondern an lebendige. Denn die Tiere liegen so dicht, dass sie sich berühren. Dass die Sau im Nachbarstand nicht als Hindernis zählt, ist inakzeptabel. Es führt dazu, dass die Tiere nicht vernünftig schlafen können, weil sie sich durch die Enge immer wieder gegenseitig wecken. Durch diesen juristischen Winkelzug verschlechtert sich die Situation der Tiere in den kommenden 8 Jahren tatsächlich. Im sogenannten Abferkelbereich, wo die Sauen ihre Ferkel gebären und stillen, sind keinerlei Haltungsverbesserungen vorgesehen. Die Fixierungszeit im sogenannten „Ferkelschutzkorb“, der auch eine Art Kastenstand ist, soll auf fünf Tage verkürzt werden – allerdings erst in 15 bis 17 (!) Jahren.
Schlimmeres verhindert
Es stimmt, dass der zweite Entwurf nicht so schlecht war wie der erste. Dieser hätte die Fixierung der Sauen in allen Bereichen für weitere 17 Jahre erlaubt. Nun einigten sich die Bundesländer auf 8 bis 10 Jahre Übergangsfrist bis zur Abschaffung der Kastenstände. Dagegen stimmten nur die Länder Sachsen-Anhalt und Berlin. Mit dem Kompromiss konnte Schlimmeres verhindert werden. Die Tierschutzverbände konnten durch ihren Widerstand in den letzten Monaten zumindest erreichen, dass das bestehende minimale Tierschutzrecht nicht noch weiter abgesenkt wurde. Früher wäre der erste, weit schlimmere Entwurf höchstwahrscheinlich einfach durchgewunken worden.
Entscheidung legitimiert Rechtsbruch
Auf der anderen Seite leitet die Regelung faktisch den Einstieg in den Ausstieg aus dem Kastenstand ein, zumindest im Deckzentrum. Von einem Erfolg für die Tiere oder gar einem „Systemwechsel“ zu sprechen, ist bei den langen Übergangsfristen dieser äußerst tierquälerischen und seit Langem illegalen Haltungsform, jedoch nicht mehr als Schönfärberei. Weniger schlimm heißt eben noch lange nicht gut!
Kein Rechtsstaat für die Tiere
Doch vor dem Hintergrund, dass mit der Änderung der Verordnung ein jahrzehntelanger Rechtsbruch nachträglich legitimiert wurde, fragt man/frau sich, was unser Rechtsstaat eigentlich noch wert ist. Zumindest gelten seine Gesetze offensichtlich nicht für sogenannte Nutztiere. Und die Kastenstände sind da nur ein Beispiel. Ganz ähnlich verhält es sich beim Kükentöten oder der Ferkelkastration. Fakt ist: Trotz Staatsziel Tierschutz und einem umfangreichen Tierschutzrecht schützt unser Rechtsstaat die Tiere nicht zuverlässig. Schuld ist ein marodes System, bei dem das Zusammenspiel von Gesetzgebung, Vollzug und Gerichtsbarkeit bei Tierschutzvergehen nicht funktioniert. Im aktuellen Fall der Kastenstände läuft das System schon bei der Gesetzgebung in die Irre.
Hoffnung Normenkontrollklage
Bleibt zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht im Sinne der Tiere urteilt. Der grüne Justizsenator Berlins Dirk Behrendt hatte 2019 eine Normenkontrollklage gegen die derzeit praktizierte Schweinehaltung (und damit auch gegen die Kastenstände) beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Seine Begründung: Er hält „zentrale rechtliche Anforderungen an die Schweinehaltung in der deutschen Landwirtschaft für unvereinbar mit dem Tierschutzgesetz und deshalb für verfassungswidrig.“ Das Urteil wird 2021 erwartet.
Hier können Sie eine Info-Grafik zum Kastenstand von unserem Partner-Verein herunterladen.