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Kunstfleisch: Führt die grüne Revolution zum Untergang der Fleischindustrie?

Weltweit wird es in den kommenden zehn Jahren höchstwahrscheinlich einen radikalen Wandel in der uns bekannten Fleischindustrie geben: Soja, Erbse und Lupine werden herkömmliches Fleisch zunehmend ersetzen. Aber auch das sogenannte Clean Meat, auch Laborfleisch genannt, ist auf dem Vormarsch. Experten sprechen bereits vom „Untergang der Fleischindustrie“. 

Fleischersatzprodukte und Ersatzfleisch haben eine deutlich bessere Klimabilanz als tierische Produkte. Grafik: Fleischatlas

Etwa ein Drittel aller Treibhausgase sind auf die Tierproduktion zurückzuführen. Da liegt es nahe, Nahrungsmittel zu produzieren, die ohne die leidvolle Produktion von tierischen Produkten auskommen. Die ersten traditionellen Anbieter tierischer Produkte, wie beispielsweise der Fleischhersteller Rügenwalder Mühle oder Wiesenhof, wandeln ihre Produktpalette bereits hin zu pflanzlichen Alternativen oder beteiligen sich an entsprechenden Start ups. Laut der Welt setzt der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland bereits jetzt etwa eine Milliarde Euro mit vegetarischen und veganen Lebensmitteln um. Im ersten Halbjahr 2019 sind in Deutschland 12.500 Tonnen an pflanzlichem Fleisch konsumiert worden. Die Steigerungsrate soll in den vergangenen Jahren bei rund 30 Prozent gelegen haben – Tendenz steigend.

Zwei Richtungen bei Fleischalternativen
Wissenschaftler gehen davon aus, dass kultiviertes Fleisch zu einer erheblichen Einsparung von bis zu 90 Prozent des Land- und Wasserverbrauchs führen kann. Die Entwicklung ist schon längst in vollem Gange. Es gibt zwei Richtungen: die eine versucht, mit Pflanzenproteinen Fleisch zu imitieren. Die andere nutzt Zellen und züchtet im Labor das, woraus ein Tier besteht: Fleisch. Auch Mischprodukte aus vegetarischen und Clean Meat-Fleischanteil wären eine Variante in der Zukunft.

Vegane Buger auf pflanzlicher Basis sind auf dem Vormasch. Foto: Impossible Foods

Fleisch auf Pflanzenbasis
Impossible Burger, bereits 2011 gegründet, war der erste Anbieter von Fleischimitaten aus Pflanzen. Wichtig ist ein eisenhaltiges Molekül, das im Blut, aber auch in allen anderen Lebewesen, also auch Pflanzen vorkommt und daher pflanzlich ersetzt werden kann. Vegetarische Burger wie die von Beyond Meat sind seit längerem auf dem Markt, auch in Deutschland. Beyond Meat aus Los Angeles County, Kalifornien, bietet vegane Fleischersatzprodukte wie Burger, „Rinder“gehacktes und Würstchen an.

Sofort ausverkauft: Pflanzliches Brathähnchen
Das vegane „Fleisch“ besteht aus Erbsenprotein, das „Blut“ im Fleisch wird durch rote Beete imitiert. Dadurch werden die Fleischimitate in Geschmack und Erscheinungsbild dem Fleisch immer ähnlicher. Der Hersteller und Entwickler wird unter anderem von Leonardo DiCaprio unterstützt. Das Unternehmen ist mittlerweile in mehr als 40 Ländern in mehr als 43.000 Verkaufsstellen, unter ihnen Hotels, Universitäten, Restaurants und Supermärkte vertreten. Anfang des Jahres ging Beyond Meat an die Börse. In diesem Jahr hatte sich sogar Kentucky Fried Chicken (KFC) an Beyond Meat gewandt, um ein pflanzliches Brathähnchen zu kreieren. Es bestand aus 100% pflanzlichen Zutaten und konnte im Sommer in Atlanta getestet werden. In weniger als 5 Stunden waren sie ausverkauft.

Veganer Burger: erfolgreichste Produkteinführung in der Geschichte
Der neue „Impossible Whopper“ bei Burgerking war nach Angaben des US-Mutterkonzerns eine „der erfolgreichsten Produkteinführungen in der Geschichte von Burger King“. Im dritten Quartal schnellte der US-Umsatz der Kette um fünf Prozent hoch. In Deutschland sind die Burger des amerikanischen Herstellers Beyond Meat schon seit einiger Zeit bekannt und waren kurzfristig im Sommer 2019 sogar im Sortiment des Discounters Lidl. Lidl hat aber inzwischen ein eigenes Produkt auf den Markt gebracht, das sich an die Burger von Beyond Meat stark anlehnt.

Foto: Impossible Foods

Rügenwalder: Ein Drittel des Ertrags mit Veggie-Produkten
Auf diesen Zug vegetarischer Nachahmerprodukte sind auch deutsche Wursthersteller aufgesprungen. Die Firma Rügenwalder Mühle Carl Müller GmbH und Co. KG, seit 1834 eigentlich Fleischhersteller, stellt seit fünf Jahren auch vegane und vegetarische Produkte her. Die veganen Produkte wie z.B. „Hähnchen“filets sind aus Weizen und Soja, die vegetarischen Produkte aus Soja, Weizen, Erbsen und Eiern. Der Hersteller will bis Ende 2020 seine fleischfreie Produktpalette auf 40 Prozent erweitern, davon sollen auch immer mehr Produkte vegan sein. So wird bei der Rügenwalder Mühle ein Drittel des Ertrags inzwischen mit fleischfreien Alternativen erzielt.

Pflanzliche Produktionsstätte statt Fleischfabrik
Vor kurzem erst gab auch der niederländische Fleischgigant Vion die Markteinführung einer neuen pflanzlichen Produktlinie namens “ME-AT” bekannt. Dafür soll der Schlachthof mit zugehöriger Fleischverarbeitungsanlage in Leeuwarden zu einer pflanzlichen Produktionsstätte umwandeln werden.

3D-Fleischmodellsystem
Redefine Meat mit Sitz in Israel hat ein Verfahren entwickelt, das ein 3D-Fleischmodellsystem und pflanzliche Lebensmittelformulierungen kombiniert, um tierfreies „Fleisch“ herzustellen. Das Start-up behauptet, dass das zu 100% pflanzlich hergestellte 3D-Druckfleisch“ das gleiche Aussehen, die gleiche Textur und den gleichen Geschmack wie herkömmliches Fleisch für Steaks, Braten und Eintöpfe liefert.

Milch und Eier auf pflanzlicher Basis
Die Firma Just in den USA ersetzt sogar Eier in Lebensmitteln durch eine pflanzliche Alternative.
Es gibt sogar eine Reihe von Unternehmen, die momentan versuchen, Milch aus pflanzlichen Äquivalenten zu produzieren oder mithilfe von Bakterien und Hefen Milchproteine wie Lactoglobulin und Kasein herzustellen. Das so hergestellte Kasein wirkt auf dieselbe Weise wie das Kasein, das Hauptbestandteil von Joghurt, Butter oder Käse ist.

Grafik: Fleischatlas

Ist Clean Meat wirklich clean?
Clean Meat ist kultiviertes Laborfleisch. Kultiviertes Fleisch, auch In-vitro-Fleisch, Clean Meat oder umgangssprachlich Laborfleisch genannt, entsteht durch die Biopsie von Muskelstammzellen eines lebenden Tieres. Diese Stammzellen werden mit Hilfe eines Nährmediums kultiviert, bis sich Muskelgewebe bildet. Auf diese Weise lassen sich Rind-, Schweine- oder Hühnerfleisch züchten, auch Fischgewebe lässt sich kultivieren. Derzeit arbeiten weltweit 30 Firmen an der Entwicklung von Clean Meat. Die erste Firma war Memphis Meat, gegründet 2015 in den USA. Andere Firmen wie Future Meat Technologies arbeiten daran, lediglich tierische Fette als Ersatz für Palm- oder Kokosöl herzustellen.

Kunstfleisch wird immer günstiger
2021 soll Fleisch bereits für unter 40 Euro zu haben sein, 2023 dann für 6 Euro. Die Firma Mission Barns mit Sitz in San Francisco geht in eine ähnliche Richtung und hat sich auf die Produktion von Fettgewebe von Schweinen und Geflügel konzentriert. Bei Memphis Meat und Future Meat Technologies ist bereits ein großer amerikanischer Fleischkonzern eingestiegen. Prof. Mark Post ist Forscher an der Universität Maastricht und Mitbegründer des niederländischen Unternehmens Mosa Meat. Im August 2013 wurde der erste niederländische in vitro Burger in London getestet. 100 Gramm sollen damals 300.000 Euro gekostet haben. Er bestand damals noch ausschließlich aus Muskelfleisch, die Fettzellen – Träger des Geschmacks – fehlten noch. Die Forschung wurde dafür finanziert von einem Mitgründer von Google. Das Rind, das seine Zellen für den 2013 von Prof. Mark Post und seiner Firma Mosa Meat für den ersten Bürger hergegeben hatte, stammte noch aus dem Schlachthaus.

Foto: Impossible Foods

Rindersteak mit Muskel-, Fettzellen und Blutgefäßen
Aleph Farms mit Sitz in der Nähe von Tel Aviv hat bereits ein echtes Stück Rindersteak produziert. Es hat neben Muskelzellen auch Fettzellen für den Geschmack und Blutgefäße. Ein Steak ist noch weit entfernt, bislang gibt es einen Prototyp in Bankkartengröße, ebenso dünn. Es gibt noch keine Technologie, die dickere Gewebe mit ausreichend Nährflüssigkeit versorgen kann. Es kostet derzeit 50 Euro das Stück. Spätestens 2023 will das Start-up ihr Produkt auf den Markt bringen.

Kultiviertes Hühnerfleisch
Zielsetzung des israelischen Start-ups SuperMeat ist es, aus Zellen kultiviertes Hühnerfleisch auf den Markt zu bringen. Die ersten Produkte sollen 2022 an Restaurants, aber 2024 auch an Supermärkte ausgeliefert werden. Um den Preis erschwinglich zu halten, soll es eine Kombination von CleanMeat und pflanzlichem Fleisch sein. Seit 2018 investiert die deutsche Wiesenhof-Investorengruppe PHW in das Start-up. Ein anderes israelisches Unternehmen ist Aleph-Farms: Das Start-up hat sich zum Ziel gesetzt, im Labor Rindersteaks zu züchten. Bislang ist es bei einer kleinen Probeverköstigung eines Ministeaks in Kreditkartengröße geblieben, die aber positiv ausfiel. Neben Muskelzellen enthält das Fleischstück auch Blutgefäße, Fettzellen und weitere Zellen. Die Firma kann auf die Expertise 2023 soll das erste derartige Produkt auf dem Markt kommen.

Clean Meat-Entwicklung: Deutschland ist nur Zaungast
Deutschland war die ganzen Jahre nur Zaungast bei der Entwicklung von Clean Meat. Erst jetzt, bald 10 Jahre später, gibt es erste zaghafte Ansätze in Rostock (Innocent Meat) und Leipzig (Alife Foods).
Nicht nur Fleisch und Fleisch für künstlich erzeugt, auch an der Laborherstellung von Kuhmilch wird bereits gearbeitet. Für die Entwicklung wurden bereits 50 Millionen Euro eingeworben.

Ungelöstes Problem: Nährmedium
Im großen Stil ist das Laborfleisch aber noch nicht erzeugt worden. Denn es sind noch technische Fragen zu klären. Wenn es ein großes Stück Fleisch werden soll, brauchen Zellen ein Gerüst, an dem sie wachsen können und das mitverspeist werden kann. Ein immer größer werdendes Muskelfleisch in einem Bioreaktor muss außerdem ausreichend mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt werden können, sonst stirbt es ab. Problematisch ist auch die Frage, woher die Ausgangszellen kommen. So verwendet Mosa Meat Stanzbiopsien vom Tier. Das Nährmedium ist ebenfalls ein noch ungelöstes Problem. Es macht 80 Prozent des Herstellungspreises für Laborfleisch aus – und der hat es in sich: derzeit kostet der Liter rund 300 Euro. Dabei sind zwei sogenannte Wachstumsfaktoren für 96 Prozent des Preises für das Nährmedium verantwortlich. Das Problem schnell zu lösen, ist essentiell, denn derzeit wird in der Forschung noch fötales Kälberserum eingesetzt, das tierquälerisch aus dem Blut von Kälbern trächtiger, geschlachteter Kühe gewonnen wird. Derzeit befinden sich chemisch-definierte Nährmedienproduktion als Alternative dazu noch im Optimierungsprozess.

Foto: Impossible Foods

Öffentliche Fördergelder fehlen
Wissenschaftler wie Prof. Mark Post aus Maastricht wollen diese Substanz aus Kostengründen selbst herstellen. Es gibt auch noch keine richtige Produktionsfabrik, bislang erfolgt die Entwicklung noch im Labor. Rund 30 Millionen Dollar bräuchten die Hersteller für eine Fabrik mit großen Bioreaktoren. Eigentlich sollte es mehr öffentliche Fördergelder geben, weil die Lösung der Ernährungsfragen der Zukunft alle, auch staatliche Institutionen angeht. In Singapur ist man für eine derartige Art der Produktion aufgeschlossen, da das Land sehr dicht besiedelt ist und aufgrund einer dadurch fehlenden landwirtschaftliche Fläche die meisten Lebensmittel importieren muss. Hier hat sogar der Staat wie nirgends sonst Gelder für die Entwicklung von Laborfleisch zur Verfügung gestellt. Ein Start-up zur Entwicklung von Shrimps im Labor gibt es schon. In den anderen Ländern kommt das Geld in der Regel aus der Privatwirtschaft.

Markt für Laborfleisch wächst rasant
Kultiviertes Fleisch wird voraussichtlich in zwei bis drei Jahren auf der Speisekarte ausgewählter Restaurants stehen. Die Produkteinführung in den Supermärkten ist hingegen schwieriger vorherzusagen. Das hängt von der Preisentwicklung ab. Es wird erwartet, dass der Markt für Clean Meat in den kommenden Jahren rasant anwächst und bis 2027 ein Gesamtvolumen von circa 20 Millionen US-Dollar erreichen wird.

Studie: Kunstfleisch wird echtes Fleisch verdrängen
Die Fleischbranche wird sich in den kommenden Jahren auf einen gewaltigen Umbruch einstellen müssen. Die Imitate könnten echtes Fleisch in den nächsten Jahren mehr und mehr verdrängen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney. Danach könnte der Absatz von veganen Fleischimitaten und künstlichem Fleisch in den nächsten Jahren explosionsartig wachsen. Danach könnte der der Marktanteil von Fleischersatz aus Pflanzen und Fleisch aus Zellkulturen bis 2030 auf 28 Prozent des gesamten Fleischmarkts anwachsen. Es wird prognostiziert, dass der Marktanteil der Fleischalternativen 2040 bei 60 Prozent liegen könnte. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass Laborfleisch bis dahin genauso schmeckt und aussieht wie echtes Fleisch und nicht mehr kostet.

Prognose: Untergangs der Fleischindustrie
Unternehmensberater Andreas Franken spricht sogar schon vom „Untergang der Fleischindustrie“. Nahezu alle Geschäftsmodelle hätten ein Verfallsdatum. Als nächstes erwarte uns der Untergang der Fleischindustrie durch „die Grüne Revolution“. Dies sei vergleichbar mit dem Bergbau, der Energiewende oder der Automobilindustrie. Auch hier wurde das Alte immer wieder vom Neuen abgelöst. Im Alten verhaftet zu bleiben, nennt Franken  sogar ein „unmittelbares strategische Risiko“ für die Produzenten.

Forscher sieht vegane Wende: Landwirtschaft muss radikal umdenken
Dies sieht auch der Wirtschaftsethikers Nick Lin-Hi von der Universität Vechta so. Im Interview mit Zeit-Online prognostiziert er, dass die Land- und Ernährungswirtschaft vor einem Paradigmenwechsel steht. Er geht davon aus, dass vegane Lebensmittel in den nächsten Jahren keine Nischenprodukte mehr sein werden. Im Gegenteil: Pflanzliche Alternativen würden Milch, Fleisch und Eiern ernsthaft Konkurrenz machen. Er empfiehlt den Landwirten radikal umzudenken: Noch sei dort ein Zeitfenster, in dem die Branche am Wandel mitwirken könne. Aber die industrielle Landwirtschaft werde schrumpfen, Wachstum werde es dort nicht mehr geben. Wer könne, sollte die natürliche Produktion in den Mittelpunkt stellen und das Ganze mit Nachhaltigkeit, Transparenz, und vielleicht auch mit Tourismus verbinden, so Lin-Hi.

Kunstfleisch spricht traditionelle Fleischesser an
Es ist und bleibt eine persönliche Entscheidung, ob man Kunstfleisch (oder Fleischersatz überhaupt) essen möchte oder nicht. Für Menschen, die jetzt schon aus Überzeugung auf tierische Produkte verzichten, ist das Kunstfleisch weniger interessant. Viele ekeln sich sogar davor, weil es echtem Fleisch in Geruch und Konsistenz zu ähnlich ist. Von den ungelösten Problemen und dem Nährmedium aus FKS ganz zu schweigen. Dies sollte dennoch kein Grund sein, Laborfleisch zu verteufeln. Denn es richtet sich eher an die Menschen, die meinen, auf „echtes Fleisch“ nicht verzichten zu können. Und hier könnte die „Grüne Revolution“ wirklich Gutes bewirken. Denn es ist eine Tatsache, dass für künstlich hergestelltes Fleisch in Zukunft keine Tiere mehr in Enge und Gestank vegetieren müssen, um dann nach einem leidvollen kurzen Leben qualvoll getötet zu werden – von den ökologischen Folgen ganz abgesehen.

Bitte unterzeichnen Sie unsere Petition für eine Agrar- und Ernährungswende unter: www.change.org

Quellen:
Hendrik Hassel (2019). Neues Fleisch. Essen ohne Tierleid – Berichte aus der Zukunft unserer Ernährung. Gütersloher Verlagshaus.

https://www.focus.de/finanzen/experten/franken/gruene-revolution-wir-erleben-gerade-den-beginn-des-untergangs-der-fleischindustrie_id_10660374.html

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