Missstände beim Vollzug

Keine Einzelfälle: Repressalien gegen Amtstierärzte

Ein Tierarzt untersucht Schweine in einer Mastanlage. Foto: Foto: iStock/RGtimeline

Amtstierärzte sollen überwachen, dass Tierschutzgesetze und Verordnungen eingehalten werden. Wegen der seltenen Kontrollen werden die meisten Tierschutzvergehen jedoch gar nicht aufgedeckt. Hinzu kommt, dass die staatlichen Kontrolleure teilweise massiv unter Druck gesetzt werden und ihnen die Verfolgung von Tierschutzvergehen schwer gemacht wird.

Im Juli 2018 wurden erschreckende Zahlen zu den Kontrollintervallen von Tierhaltungen bekannt. Die Bundesregierung teilte in ihrer Antwort auf Anfragen von Grünen und FDP mit, dass Tierhaltungsbetriebe in Deutschland statistisch nur alle 17 Jahre kontrolliert werden. Am längsten ist der Abstand zwischen den Kontrollen in Bayern: Hier kommt durchschnittlich nur alle 48 Jahre ein Amtsveterinär, in Schleswig-Holstein sind es 37 Jahre und in Niedersachsen, dem Epizentrum der Intensivtierhaltung, wird im Schnitt nur alle 21 Jahre kontrolliert. Die seltenen Kontrollen führen dazu, dass Verstöße gegen geltende Tierschutzgesetze oft gar nicht entdeckt werden. Doch auch in begründeten Fällen kommt es vor, dass die Behörden untätig bleiben. Obwohl bei den im Jahr 2017 kontrollierten Betrieben mehr als 20 Prozent auffällig waren, leiteten die Behörden nur bei einem Fünftel der Betriebe ein Ordnungswidrigkeits- oder Strafverfahren ein. Nach Aussage von Dr. Christine Bothmann, stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte, liegt dies am Personalmangel in den Ämtern. Sie schätzt, dass die Veterinärämter die an sie gestellten Aufgaben von ehemals 80 Prozent nur noch zu 50 Prozent erfüllen.

Tierschutz-Vollzug wird blockiert
Amtstierärzte stecken zudem in einem Dilemma: Einerseits sollen sie sicherstellen, dass das Tierschutzgesetz eingehalten wird, andererseits kontrollieren sie gewerbliche Mast-, Zucht- oder Schlachtbetriebe, deren Betreiber auf Auflagen und Verzögerungen im Betriebsablauf zuweilen aggressiv reagieren. Die Veterinärüberwachung ist in den meisten Bundesländern bei den Kommunen angesiedelt. Die Amtsveterinäre sind meist beim jeweiligen Landkreis angestellt. Damit unterstehen sie der Dienstaufsicht des Landrates. Große Tierhaltungsbetriebe oder Schlachthäuser sind besonders in ländlichen Regionen wichtige Arbeitsgeber und Gewerbesteuerzahler. Nicht selten wehren sie sich gegen Tierschutzauflagen, indem sie Vorgesetzte der Amtstierärzte, also Amtsleiter oder Landräte, unter Druck setzen. Tierärzte berichten, dass es auch vorkommt, dass der Bauernverband Druck auf die Landräte ausübt, beispielsweise durch Androhung einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Diese politische Einflussnahme kann dazu führen, dass das Vollzugsdefizit im Tierschutz von Behörden und Landkreisen nicht nur in Kauf genommen, sondern sogar angeordnet wird.

Ein Tierarzt läuft durch eine Hühnermastanlage. Foto: Foto: iStock/roib

Fehlanzeige: Bekämpfung von Korruption
Wenn die Tierärzte sich dagegen auflehnen, werden sie als Querulanten wahrgenommen und laufen Gefahr, gegen ihre Loyalitätspflicht als Beamte zu verstoßen. Dabei riskieren sie ihren Pensionsanspruch zu verlieren. Ein Gutachten des Bayerischen Obersten Rechnungshofes aus dem Jahr 2016, in dem es um salmonellenverseuchte Eier ging, belegt, dass neben der Nichteinhaltung der Mindestanzahl der Kontrollen häufig auch die Grundsätze zur Bekämpfung von Korruption missachtet werden. Häufig fehlt das Vier-Augen-Prinzip sowie eine regelmäßige Rotation bei den Kontrollen, die verhindern soll, dass eine zu große Nähe zwischen Kontrolleur und Tierhalter entsteht. Die fehlende Distanz ist also auf verschiedenen Ebenen problematisch. Einerseits zwischen Kontrolleur und Tiernutzer, andererseits zwischen Tiernutzer und Politik.

„Angefeindet, bedroht und verleumdet“
Dr. Karl Pfizenmaier, Vorstandsmitglied beim Verein Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft e.V., berichtet, dass dies dazu führen kann, dass Tierärzte von ihren Vorgesetzten unter Druck gesetzt werden. Das Spektrum der Repressalien reiche von Ermahnungen über Schikanen und Mobbing bis zu willkürlichen Versetzungen. Berichten zufolge kommt es vor, dass engagierte Tierärzte von den Kontrollen abgezogen und versetzt werden. 2014 nahm sich die Amtsveterinärin Anya Rackow aus Bad Mergentheim sogar das Leben, weil sie die Anfeindungen nicht mehr ertragen konnte. Die ehemalige Amtstierärztin und jetzige Berliner Tierschutzbeauftragte Diana Plange berichtet, dass dies keine traurigen Einzelfälle seien, sondern ein massives Problem.

Morddrohungen und zerstochene Autoreifen
Von Seiten der Tierhalter droht engagierten Tierärzten teilweise sogar offene Aggressivität: Es kommt vor, dass sie angegriffen oder vom Hof gejagt werden, wenn sie Tierschutzvergehen feststellen. Teilweise werden sogar Morddrohungen ausgesprochen – oder noch schlimmer – umgesetzt: In Brandenburg erschoss 2015 ein Landwirt einen Amtstierarzt, der seine Rinder einziehen wollte. 2017 schoss ein Bauer in Niedersachsen einen Tierarzt in den Bauch und 2016 verletzte ein Schweinemäster in Nordrhein-Westfalen zwei Tierärzte mit einer Eisenstange.

Whistleblower werden nicht geschützt
Ein großes Problem ist nach Ansicht von Prof. Jens Bülte, dass Personen die Missstände aufdecken, nicht ausreichend geschützt sind. Im Gegenteil: Wer auf Missstände bei seinem Arbeitgeber hinweist, hat in Deutschland viele Nachteile. „Wir haben in Deutschland keinen effektiven Whistleblower-Schutz“, kritisiert Bülte. Dies sei nicht nur im Tierschutzbereich ein großes Problem, sondern gelte für alle Bereiche der Wirtschaft. Besonders schwierig sei es im Bereich der Wissenschaft. Wir erinnern uns: Die illegalen Tierversuche an der Uni Münster kamen nur ans Tagesicht, weil ein Whistleblower die Behörden informierte. Oft handelt es sich an Universitäten um prekäre und befristete Arbeitsverhältnisse, kombiniert mit massiven Abhängigkeiten. Wenn beispielsweise ein Doktorand ein Tierschutzvergehen meldet und damit seinem Doktorvater in den Rücken fällt, ist dies meist das Ende seiner Karriere.

Große Hürden, um Tierschutzverstöße anzuzeigen
Hinzu kommen die fast unüberwindlichen Hürden, selbst schwerwiegende Tierschutzverstöße erfolgreich anzuzeigen. Die Tierärztin Nicole Tschierse, die jahrelang auf bayrischen Schlachthöfen kontrollierte berichtet, dass es selbst bei schwerwiegenden Verstößen fast unmöglich sei, sie zur Anzeige zu bringen. Es sei extrem aufwendig und die Erfolgsaussichten gering. Der Tierarzt müsse viele Beweismittel erbringen und sichern, beispielsweise Stücke von gebrochenen Beinen. Sie erinnert sich an eine Kuh, die nach einer Fehlgeburt in einem sehr schlechten Zustand am Schlachthof ankam. Der Transporteur hatte sich strafbar gemacht, denn er hätte das Tier kurz nach dem Kalben nicht direkt transportieren dürfen. Die Tierärztin erstattete daraufhin Anzeige. Das Verfahren schleppte sich über ein halbes Jahr. Dann, so klagt sie, könne man häufig nichts mehr beweisen.

„Lächerliche Strafen“
Im Endeffekt habe der Transporteur 200 Euro Geldstrafe bekommen. Und obwohl dies eine lächerliche Strafe gewesen sei, habe er danach versucht, ihr das Leben zur Hölle zu machen. Deswegen habe sie Verständnis für die Kollegen, die sagen, dass sie sowas dann eben nicht gesehen haben. Ein Tierarzt aus Nordrhein-Westfalen berichtet von einem Bullen, der mit einem offenen Beinbruch am Schlachthof angeliefert wurde. Die Wunde war teilweise schwarz verfärbt. Das Tier litt offensichtlich schon länger und war nicht behandelt worden. Stattdessen hatte man den Bullen unter großen Schmerzen verladen. Der Amtsveterinär erstattete Anzeige. Das Ergebnis: Das Verfahren wurde von dem zuständigen Staatsanwalt eingestellt. Wenn Tierärzte also gegen alle Widerstände Anzeige erstatten, machen sie die Erfahrung, dass selbst schwere Tierschutzvergehen nicht verfolgt werden. Der Bereich Tierschutz, klagt Pfizenmaier, läuft bei den Staatsanwaltschaften unter ferner liefen.