Verfahren wegen Tierquälerei werden oft eingestellt – oder gar nicht verfolgt. Bestätigt wird dies unter anderem durch die Studie des Thünen-Instituts aus dem Jahr 2015, die die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwälten und Veterinären untersuchte. tierrechte sprach mit Jens Bülte, Professor für Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Mannheim. Bülte hat Tierschutzfälle aus den vergangenen 40 Jahren ausgewertet. Sein Fazit: Der Tierschutz wird wirtschaftlichen Interessen untergeordnet und das Staatsziel Tierschutz ignoriert.
1. Herr Bülte, seit 16 Jahren ist der Tierschutz im Grundgesetz. Sie haben Tierschutzfälle aus mehreren Jahrzenten untersucht. Konnten Sie eine Veränderung in der Rechtsprechung seit 2002 feststellen?
Ich habe mir für meine Untersuchung nur die strafrechtlichen Gerichtsentscheidungen zum Tierschutz angeschaut, es gibt allerdings hier nur sehr wenige. Die meisten sind vor 2002 ergangen. Das einzige strafrechtliche Verfahren zur Massentierhaltung nach 2002 war das des Landgerichts Münster zum „Küken-Schreddern“. Der Beschluss von 2016 berücksichtigt Artikel 20a des Grundgesetzes allerdings in der Sache nicht.
2. Wie beurteilen Sie die Entscheidung des Landgerichts vor diesem Hintergrund?
Zunächst zeigen sich in dem Beschluss handwerkliche juristische Fehler, dabei geht es aber eher um die juristische Arbeitsmethode als um das Ergebnis. Darüber hinaus nennt die Entscheidung das Staatsziel des Tierschutzes zwar, setzt sich aber nicht so mit diesem Verfassungsgut auseinander, dass man sagen könnte, es habe eine ernsthafte Abwägung stattgefunden. Die Ausführungen hierzu sind eher floskelhaft.
3. Was für ein Strafmaß hatten die Urteile, die Sie analysiert haben?
Ich habe nur eine einzige Verurteilung durch das LG Oldenburg aus dem Jahr 1996 gefunden, die auch Tierquälerei zum Gegenstand hatte. Allerdings wurde dem Angeklagten hier eine Vielzahl weiterer Straftaten gegen Lebensmittel- und Arzneimittelrecht sowie unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen. Darüber hinaus habe ich nur einige Entscheidungen gefunden, in denen Oberlandesgerichte angeordnet haben, dass Strafverfahren durchgeführt werden müssen. Aber ich kenne keinen weiteren Fall, in dem es nach einer öffentlichen Hauptverhandlung zu einer Verurteilung, zu Freiheitsstrafen oder Geldstrafen im Zusammenhang mit Massentierhaltung gekommen ist.
4. Schon der Titel Ihres Essays „Zur faktischen Straflosigkeit institutionalisierter Agrarkriminalität“ spricht Bände. Wie kann es sein, dass Tierquälerei im großen Stil nicht angemessen bestraft wird?
Praktisch liegt das daran, dass es in der Strafjustiz zwei Akteure gibt, die beide zu dem Ergebnis kommen müssen, dass ein Handeln strafbar ist. Zum einen die Staatsanwaltschaft, zum anderen das Gericht. Wenn einer der beiden meint, ein allgemein akzeptiertes Verhalten könne man nicht bestrafen und das in juristische Argumente verpackt, bleiben diese Taten unbestraft. Hier kann also unter anderem die Überzeugung, ein wirtschaftlich sinnvolles und als Folge der Massentierhaltung notwendiges Übel könne nicht strafrechtlich verfolgt werden, dazu führen, dass geltendes Strafrecht nicht angewendet wird. In Münster hatte die Staatsanwaltschaft zwar angeklagt. Die Anklage wurde jedoch vom Landgericht Münster nicht zugelassen, unter anderem, weil das Gericht die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmer klar überbewertet hat.
5. In den heißen Sommertagen waren die Medien voll mit Meldungen über Hundebesitzer, die ihre Tiere bei Hitze in ihren Autos zurückließen. In einem solchen Fall kann nach § 18 Tierschutzgesetz (TierSchG) eine Geldbuße von bis zu 25.000 Euro drohen. Gleichzeitig kommt es oft vor, dass beispielsweise hunderte von Schweinen in ihrem Stall ersticken oder kollabieren, weil eine Lüftungsanlage ausgefallen ist. Wie ist es zu erklären, dass die Hundebesitzer für ihre Gedankenlosigkeit bestraft werden, während professionelle Tiermäster oft straffrei ausgehen?
Die Staatsanwaltschaft wird im Fall des Schweinehalters annehmen, dass er kein Interesse am Tod seiner Schweine habe, er will ja mit der Mast Geld verdienen. Deswegen wird man eher Fahrlässigkeit unterstellen. Auch hier steht also die wirtschaftliche Frage bei der Beurteilung zumindest im Raum. Dennoch kann auch in solchen Fällen vorsätzliches Handeln vorliegen, etwa wenn es zuvor schon Anzeigen gab, dass die Lüftung nicht mehr richtig funktioniert, der Unternehmer sich aber nicht darum gekümmert hat, um Kosten zu sparen. Zudem muss man in solchen Fällen auch über die Verhängung eines Bußgeldes nachdenken.
Häufig wird bei der Entscheidung über die Strafverfolgung auch mitschwingen, dass das Fleisch, das alle Verbraucher essen wollen, ja irgendwo herkommen muss. Wenn bei der damit verbundenen Massenproduktion „etwas schiefgeht“, meint man, das dem einzelnen Unternehmen nicht anlasten zu können. Da wird die Rechtswidrigkeit als notwendiges Übel in Kauf genommen. Hundehaltung wird dagegen als Luxus angesehen, und da gibt es dann – völlig zu Recht – immer wieder Entscheidungen, die Fehlverhalten im Umgang mit Haustieren sanktionieren.
6. Betriebsleiter gehen nur straflos aus, wenn sie glauben, ein Missstand sei erlaubt oder wenn sie schlicht nicht wissen, was auf ihrem Hof vorgeht. Beides trifft höchstwahrscheinlich nur sehr selten zu. Denn ein Landwirt muss die entsprechende Sachkunde haben. Wie kommt es, dass es dennoch so selten zu Verurteilungen kommt?
Man kennt landläufig den Grundsatz „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“. Der gilt im deutschen Strafrecht allerdings nicht pauschal. Wenn der Agrarunternehmer nicht weiß, was in seinem Betrieb vorgeht, wie viele Tiere er hat, wie sie gehalten werden und welche Folgen dies für die Gesundheit der Tiere hat, kann er nicht wegen vorsätzlicher Tierquälerei bestraft werden. Wenn er aber weiß, was in seinem Betrieb vorgeht, aber glaubt, das sei alles rechtlich zulässig, dann handelt er mit Blick auf den Verstoß gegen das Tierschutzgesetz vorsätzlich.
Diese beiden Aspekte werden von Staatsanwaltschaften und Gerichten manchmal vermischt. Hier wird zum Teil argumentiert: „Er wusste zwar, dass die Tiere leiden, aber er dachte, dies sei erlaubt. Deswegen handelte er nicht vorsätzlich“. Das ist eine juristisch fehlerhafte Argumentation. Wer die Verhältnisse in seinem Stall kennt, handelt grundsätzlich vorsätzlich. Wenn der Betriebsinhaber lediglich glaubt, die konkrete Haltung sei zulässig, dann kann das allenfalls im absoluten Ausnahmefall dazu führen, dass er schuldlos und damit nicht strafbar handelt.
Diesen Ausnahmefall gibt es aber nur theoretisch, denn Paragraf 2 Nr. 3 des Tierschutzgesetzes sieht vor, dass jeder Tierhalter sich so informieren muss, dass er auf dem aktuellen Stand in Punkto Tierhaltung ist und das notwendige Wissen hat, um die Tiere angemessen zu halten. Er kann sich also praktisch nicht darauf berufen, er habe nicht gewusst, dass seine Haltung rechtswidrig sei. Er müsste schon wirklich keine Ahnung haben, was auf seinem Hof läuft. Doch das werden die wenigsten behaupten wollen, dann wären sie ja auch eigenartige Unternehmer.
7. Sie sagen, das Problem ergibt sich aus dem Missverständnis, nachdem ein Täter nur bestraft wird, wenn er vorsätzlich handelt. Aber Landwirte und Tiermäster, die teils Hunderttausende von Tiere halten, haben doch ein eindeutiges Motiv. Sie wollen einen möglichst hohen Profit erwirtschaften…
Wer versucht, möglichst großen Profit zu erzielen, ist eher geneigt, gesetzliche Vorgaben zu verletzen, wenn das seinen wirtschaftlichen Interessen dient. Deswegen spricht das wirtschaftliche Interesse durchaus dafür, ein Indiz für den Vorsatz anzunehmen.
Aber die Motive haben grundsätzlich für den Vorsatz keine Bedeutung. Relevant ist die Motivation allerdings bei der Strafzumessung. Wird eine Straftat gewerbsmäßig begangen, also zur Gewinnerzielung, so liegt ein Strafschärfungsgrund vor. Die Relevanz wirtschaftlicher Motivation wird am Mordparagrafen besonders deutlich. Habgier ist ein möglicher Grund dafür, warum aus dem Totschlag mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe, ein Mord mit lebenslanger Freiheitsstrafe werden kann. Das heißt, im deutschen Strafrecht gilt der Grundsatz: Wer aus Profitinteresse eine Straftat begeht, wird schwerer bestraft. Das scheint seltsamerweise im Tierschutzrecht anders zu sein, hier wirkt die wirtschaftliche Motivation offenkundig strafbefreiend.
8. Ich sage jetzt mal provokant, dass die massenhaften Rechtsverstöße in der Agrarwirtschaft System haben. Toleriert die Politik diese Verstöße, weil sie vor der starken Landwirtschaftslobby einknickt?
Das ist schwierig zu sagen, aber es gibt Indizien, die dafür sprechen. Dass die Agrarlobby einen großen Einfluss auf die Politik hat, kann man wohl kaum bestreiten. Das wurde deutlich als der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt forderte, die Bezeichnung „vegane Schnitzel“ zu verbieten. Die Idee stammte ursprünglich vom Deutschen Fleischer Verband. Sie hat bei der Europäischen Union übrigens nur Kopfschütteln ausgelöst. Dann kam die Verfolgung von „Einbrüchen“ in Tierställe. Die Idee das Filmen in Tierställen zu sanktionieren, kam nicht originär aus der Politik, sondern stammte ursprünglich vom Deutschen Bauernverband. Interessanterweise haben wir hier eine Parallelentwicklung in Österreich. Das Regierungsprogramm von FPÖ und ÖVP sieht ebenfalls eine Bestrafung vor.
9. Könnte man die derzeitige Welle von Initiativen zur Kriminalisierung von Tierrechtlern auch so werten, dass die Kritik am herrschenden System erfolgreich ist? Die Lobbys reagieren quasi aggressiv, weil sie unter Druck sind?
Das dürfte einer der Gründe sein. Es ist kein Geheimnis, dass Wut meist aus Angst entsteht. Zumindest kann ich mir vorstellen, dass man die Kritik an den Zuständen jetzt ernster nimmt. Auf ernstzunehmende Kritik kann man mit blinder Abwehr reagieren oder man kann sich damit konstruktiv auseinandersetzen. Diese konstruktive Auseinandersetzung ist von Seiten der Bundesregierung jedoch für mich nicht erkennbar.
10. Sie haben festgestellt, dass Urteile im Bereich Tierschutz – wenn sie überhaupt erfolgen – handwerklich oft schlecht gemacht sind. Dies erklären Sie einerseits mit der hohen Arbeitsbelastung der Gerichte und andererseits damit, dass die Staatsanwälte sich lieber auf Fälle konzentrieren, die sich leicht nachweisen lassen und weniger Arbeit machen. Hinzu kommt, dass die Anwälte der Landwirte meist hochspezialisiert sind. Was müsste passieren, damit Tierquälerei endlich gleichberechtigt verfolgt wird? Wären Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Tierschutz eine Lösung?
Ja, ich denke, dass wir in diesem Bereich mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften oder Spezialisierung brauchen. Die Schwerpunktstaatsanwaltschaften haben sich im Wirtschaftsstrafrecht bewährt. Im Wirtschaftsstrafrecht wird mit Wirtschaftsdezernenten gearbeitet, die die wirtschaftlichen Belange vorbereiten, aufbereiten und den Staatsanwälten verständlich machen. Hier sollte man überlegen, ob man Staatsanwaltschaften mit Schwerpunkteinheiten einrichtet und diese mit Veterinären und Ethologen als Tierschutzdezernenten oder mit Umweltdezernenten besetzt. Denn letztlich ist dieser Bereich des Tierschutzstrafrechts auch Wirtschaftsstrafrecht.
Außerdem ist natürlich die Weiterbildung der Staatsanwälte das A und O. Dazu muss man den ohnehin schon überlasteten Staatsanwälten die Weiterbildung aber auch schmackhaft machen. Man kann nicht von ihnen erwarten, dass sie sich in ihrem Urlaub auf eigene Kosten weiterbilden.
11. Sie sagen, die Veterinärämter haben oft selbst kein Interesse, Missstände aufzudecken, weil sie sich durch Unterlassung selbst strafbar gemacht haben könnten. Dann liegt hier der Fehler im System. Wie könnte man Amtsveterinäre stattdessen motivieren, Tierschutzvergehen anzuzeigen?
Das ist für mich schwierig zu beurteilen. Aber es liegt auf der Hand, dass ein Veterinär Probleme bekommt, wenn er einmal weggeschaut hat. Wenn er nämlich später eine Anzeige macht oder Maßnahmen ergreift, muss er sich fragen lassen, warum er nicht schon vorher gehandelt hat.
Es wäre eine Überlegung wert, die Veterinäre rotieren zu lassen. Das heißt zwar, dass der Veterinär den einzelnen Betrieb dann nicht mehr kennt, aber es würde auch dazu führen, dass er dann neu in einen Betrieb kommt und nicht für die Verstöße verantwortlich ist, die sein Vorgänger übersehen hat. Dass es hier massive Probleme gibt, ergibt sich aus dem Urteil des Landgerichts Magdeburg. Der Vorsitzende Richter führte aus, dass die Veterinärämter die Verstöße systematisch gedeckt und vertuscht haben. Deswegen ist es sinnvoll, ständige Verbindungen zwischen dem Amtsveterinär und dem Agrarunternehmer zu unterbrechen, wenn es sie geben sollte.
12. Wenn Amtstierärzte engagiert Tierschutzvergehen verfolgen und zur Anzeige bringen, kommt es vor, dass sie unter Druck gesetzt und sogar bedroht werden. Wie kann es sein, dass Tierärzte, die ihre Arbeit richtig machen, dafür bestraft werden? Wie könnten sie stattdessen geschützt werden, damit sie weisungsfrei arbeiten können?
Das Problem, dass Personen die Missstände aufdecken nicht ausreichend geschützt sind, haben wir nicht nur im Tierschutzbereich. Das gilt für alle Bereiche der Wirtschaft. Wir haben in Deutschland keinen effektiven Whistleblower-Schutz. Insofern müsste man sich grundlegend Gedanken machen, wie man mehr die Rechtmäßigkeit des Verhaltens als den Schutz des Betriebsgeheimnisses in den Mittelpunt rückt. Man könnte hier im Bereich der Agrarunternehmen zwingende Compliance Systeme einzuführen, deren Einhaltung überwacht werden muss. Wenn es in diesem Bereich klare Regeln gibt und ein Verstoß dann angezeigt und sanktioniert werden kann, fällt es dem einzelnen Tierarzt leichter, aktiv zu werden. Wenn ein Verstoß klar auf der Hand liegt, ist es einfacher, ihn zu verfolgen.
In den Fällen in denen Amtstierärzte gemobbt und bedroht werden, wirft man ihnen höchstwahrscheinlich vor, sie hätten zu sehr nachgebohrt. Klare Regeln wären eine wichtige Hilfe und ein effektiver Schutz für Whistleblower.
13. Auch im Bereich der Tierversuche kommen Verstöße gegen Tierschutzrecht meist nur heraus, wenn es Whistleblower gibt. Zuletzt war dies bei den illegalen Tierversuchen an der Uni Münster der Fall…
Im Bereich der Wissenschaft wird es besonders schwierig, weil dort massive Abhängigkeitsverhältnisse bestehen. Die Arbeitsstrukturen an Universitäten zeichnen sich durch prekäre Arbeitsverhältnisse aus, wo es teilweise nur 3-Monatsverträge gibt. In ihrer Doktorarbeit sind die Doktoranden zudem von ihrem Betreuer abhängig. Wenn sie ihm in den Rücken fallen, können sie diese wissenschaftliche Arbeit und auch ihre Karriere vergessen. Dass kann zu einem „Klima der Angst“ führen oder zumindest zu besonderer Zurückhaltung, in Fällen aktiv zu werden, in denen Tiere rechtswidrig gequält werden. Da hilft meiner Ansicht nach nur Transparenz. Es muss deutlich sein, dass bestimmte Vergehen beamtenrechtliche, beziehungsweise dienstliche oder strafrechtliche Konsequenzen haben. Hier kann das Strafrecht wirklich einen Abschreckungseffekt haben. In Betracht kommen Berufsverbote oder eine Entfernung aus dem öffentlichen Dienst.
14. Für wie wirkungsvoll halten Sie die Tierschutz-Verbandsklage, um die Rechtsstellung der Tiere zu verbessern?
Grundsätzlich halte ich solche Instrumente im Tierschutzrecht für elementar, um einen Vollzug überhaupt ansatzweise garantieren zu können. In einem Bereich, wo sich der Einzelne nicht als Opfer wehren kann, weil Tiere betroffen sind, muss das ein Verband machen, damit die Interessen der Betroffenen, in diesem Falle der Tiere, gewahrt werden.
Darüber hinaus sind Transparenzinstrumente wie die Verbandsklage auch aus europäischer Perspektive zwingend notwendig. Im EU-Recht merken wir zunehmend, dass Transparenz zur zentralen Frage der Wirtschaft wird. Das zeigt sich beim Transparenzregister bei der Geldwäsche oder im Lebensmittel- und Umweltrecht.
15. Die schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen droht, das 2013 unter rot-grün eingeführte Tierschutz-Verbandsklagerecht, Ende 2018 auslaufen zu lassen. Wie würden Sie die (mögliche) Rücknahme der Klagebefugnis für Tierschutzverbände bewerten?
Das halte ich für einen Rückschritt in der Rechtskultur. Die Begründungen der CDU sowie der AfD halte ich für wenig plausibel. Zudem widersprechen sie sich inhaltlich. Die CDU argumentiert, dass Verbandsklagen die Wirtschaft stören. Die AfD sagt, es gibt keine, die effektiv durchgeführt wurde, deswegen sei das Instrument überflüssig. Zumindest eine der beiden Begründungen ist falsch.
Ich halte diese Klageart für notwendig, um das Verfassungsgut als solches zu gewährleisten. Artikel 20a Grundgesetz besagt: Der Tierschutz ist ein Verfassungsgut. Er steht auf dem gleichen Rang wie die Grundrechte auf Eigentum oder auf Berufsfreiheit. Diesen Verfassungswert zu schützen ist Aufgabe der Verbandsklage.
16. Die Bundesregierung schreibt im Koalitionsvertrag, dass sogenannte Stalleinbrüche von Tierschützern künftig härter bestraft werden sollen. Die FDP möchte Vereinen, die Missstände in Ställen dokumentieren, die Gemeinnützigkeit entziehen und zweifelt die Authentizität des Filmmaterials an. Was halten Sie davon?
Die Stalleinbrüche, um die es hier geht, sind keine Straftaten. Deswegen laufen diese Forderungen ins Leere. Ich finde es selbstverständlich gut, wenn Organisationen, die systematisch Straftaten begehen oder sich diese zum Ziel gesetzt haben, keinen Gemeinnützigkeitsstatus bekommen. Das sieht das Steuerrecht allerdings längst vor. Aber bei den Tierrechtsvereinen habe ich auch mit Blick auf die aktuelle Rechtsprechung erhebliche Zweifel, dass sie in diese Kategorie fallen.
17. Das Oberlandesgericht Naumburg hat im Februar investigative Tierschützer freigesprochen, die desaströse Zustände in Schweineställen gefilmt haben. Das Gericht berief sich auf das sogenannte Notstandsrecht aus Paragraf 34 des Strafgesetzbuches. Warum ignoriert die Politik dieses Urteil?
Ich glaube die Politik ignoriert das Urteil nicht, sondern sie hat Angst vor den Folgen. Es ist interessant zu sehen, dass die Idee, vermeintliche Einbrüche in Ställe zu sanktionieren im Entwurf des Koalitionsvertrages am 07.02.18 auftauchte und am 22.02.18 das Urteil in Naumburg erging. Man hatte also im Vorfeld dieser Entscheidung Angst davor, was dieses Urteil bedeuten könnte.
18. Wäre eine Bestrafung rechtlich überhaupt möglich?
In der Sache gibt es drei Stellungnahmen, zwei davon von Strafrechtskollegen. Alle kommen wie ich zu dem Ergebnis, dass eine Sanktionierung strafrechtstechnisch überhaupt nicht möglich ist. Um sogenannte Stalleinbrüche zu sanktionieren, müsste man in das Strafgesetzbuch eine Vorschrift einbauen, die besagt: „Wenn du in einen Stall einsteigst, wirst du bestraft. Du darfst in eine Privatwohnung, in ein Krankenhaus oder ein Büro einsteigen, wenn ein Notstand vorliegt. In Tierställe jedoch nicht!“ Das würde bedeuten, dass wir eine Änderung der Abwägung vornehmen, die der Gesetzgeber festgelegt hat. Das Strafgesetz sagt – im Einklang mit dem Verfassungsrecht: „Wenn jemand zum Schutz eines übergeordneten Interesses handelt, darf er ausnahmsweise ein Strafgesetz brechen.“ Aus dem Satz im Koalitionsvertrag folgt: Entweder kann der Tierschutz kein übergeordneter Grund mehr sein. Das würde gegen Art. 20a des Grundgesetzes verstoßen. Oder: Wer einen übergeordneten Grund hat, darf das Hausrecht bei Ställen auch im Ausnahmefall nicht mehr beeinträchtigen. Das wäre ein grundlegender Widerspruch zu den Grundsätzen des Strafrechts.
19. Herr Bülte, im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD steht, Deutschland solle beim Tierschutz eine Spitzenposition einnehmen. Ist die Regierung in diesem Punkt glaubwürdig?
Unter dem Punkt „Tierschutz“ im Koalitionsvertrag stehen allgemeine Ausführungen zum Tierschutz und ein bisschen was zum Lebensmittelrecht. Das einzige, was konkreter ausformuliert wird, ist das Vorhaben „Einbrüche“ in Tierställe zu bestrafen. Das macht alle Erklärungen zum Tierschutz zur Makulatur.
20. Welche kurz- und langfristigen Maßnahmen müsste die Regierung in Bezug auf den Vollzug ergreifen, um beim Tierschutz Ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen?
Das zentrale Problem ist, dass wir ein massives Vollzugsdefizit haben. Die existierenden Verordnungen auf Basis des Tierschutzgesetzes sind zwar unzureichend, dennoch müsste die Regierung sich erst einmal Gedanken darüber machen, warum geltendes Recht nicht eingehalten wird. Leider sehe ich nicht, dass diese Tatsache überhaupt anerkannt wird. In den Anträgen zur Verbandsklage in NRW steht: Wir haben kein Problem im Vollzug. Das ist schlicht realitätsfremd.