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Gentechnik Tierversuche

Moderne Gentechnik – Fluch und Segen

Die technischen Durchbrüche der letzten Jahre auf dem Gebiet der Genmanipulation haben substanziellen Einfluss auf die Forschung weltweit. Die traurigen Verlierer dieser Entwicklungen sind die Tiere, die aufgrund dieses Gentechnik-Booms zusätzlich für die Wissenschaft leiden und sterben. Gleichzeitig können die neuen Techniken eingesetzt werden, um humanspezifische, tierleidfreie Forschungsmethoden zu entwickeln.

Die dunkle Seite des Fortschritts
Seit dem Jahr 2000 werden gentechnisch veränderte Tiere in Deutschland gesondert erfasst und der Trend ist in den letzten Jahren stetig steigend. Waren es 2010 noch ungefähr 25 Prozent aller gezählten Tiere, sind es 2016 schon über 40 Prozent gewesen. Das sind über 1,2 Millionen Tiere. Der Großteil davon waren Mäuse und Fische. Seit 2015 wurden sogar mehr solcher Mäuse zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet, als Tiere, die nicht gentechnisch manipuliert wurden.

Nur ein Bruchteil statistisch erfasst
Dabei darf man die höchstwahrscheinlich hohe Dunkelziffer nicht vergessen. In der Statistik tauchen lediglich die genetisch manipulierten Tiere auf, die zur Schaffung einer neuen Zuchtlinie verwendet oder nach der Zucht in weiteren Versuchen eingesetzt werden. Gentechnisch veränderte Tiere aus Vorratshaltung von schon bestehenden Zuchtlinien werden nur dann erfasst, wenn sie als Folge der Manipulation einen pathologischen Phänotyp zeigen, also unter der Genmanipulation leiden.

Die Nacktmaus ist gentechnisch so manipuliert, dass sie ein stark eingeschränktes Immunsystem hat. Foto: pixabay.com

Wie viele Tiere zum Beispiel bei dem Versuch der gentechnischen Veränderung starben, missgebildet geboren oder bereits als Embryonen abortiert wurden, geht nicht aus der Statistik hervor, ebenso wenig wie die Zahl der Tiere, bei denen es misslang, das Erbgut überhaupt zu verändern. Manche Experten schätzen die Dunkelziffer für solche nicht gemeldeten Tiere auf ungefähr zwei Drittel der „verbrauchten“ Tiere. Das würde konkret bedeuten, dass 2016 wahrscheinlich über 2,4 Millionen Tiere in Deutschland für die Gentechnik sterben mussten, ohne dass sie je irgendwo registriert wurden.
Für die Situation innerhalb Europas wird es erstmals 2019 einen offiziellen umfassenden Bericht geben. Bisherige Vergleiche der Zahlen zwischen Mitgliedstaaten bestätigen jedoch den allgemeinen Aufwärtstrend.

Ausbeutung auf diversen Ebenen
Die Motive für die genetische Manipulation von Tieren sind vielfältig. Dabei stehen keineswegs immer drängende medizinische Probleme im Vordergrund. Vielmehr geht es oft auch um wirtschaftliche Ziele. Beispielsweise sollen sogenannte Nutztiere wie Schweine oder Fische schneller wachsen und größer werden, um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können. Aber nicht nur mehr leisten sollen die Tiere, sondern bestenfalls noch bequemer in der Haltung werden, beispielsweise indem bei Rindern die Gene für ihre Hörner abgeschaltet werden. Solche Forschung wird sogar als „zum Wohl der Tiere“ verkauft, da den Rindern so die schmerzhafte Prozedur der Enthornung erspart werden könnte, die aktuell in der Rinderhaltung gang und gäbe ist. Kaninchen, Ziegen und Kühe werden genetisch verändert, um als „Bioreaktoren“ in ihrer Milch oder im Blut menschliche Eiweiße zu produzieren. Solche Eiweiße werden zur Herstellung von Medikamenten oder Nahrungsmittelzusätzen verwendet. Schweine werden zudem als mögliche zukünftige Organspender für den Menschen gehandelt. Dafür werden durch genetische Manipulationen die Organe der Tiere „vermenschlicht“, um Abstoßungsreaktionen zu vermindern.

Tiere künstlich krank gemacht
In der biomedizinischen Forschung wird das Erbgut von Tieren gezielt verändert, um menschliche Krankheitssymptome hervorzurufen, die Beschaffenheit von Organen zu verändern oder anderweitig in den Stoffwechsel der Tiere einzugreifen. Gentechnisch veränderte Mäuse und Ratten können so gezüchtet werden, dass sie Tumore bilden, Diabetes bekommen oder taub sind. An solchen sogenannten Tiermodellen sollen dann entsprechende menschliche Krankheiten studiert und Therapien für den Menschen entwickelt werden.

Mehr Tiermodelle zu befürchten
Hauptauslöser des regelrechten Gentechnik-Booms sind bahnbrechende Fortschritte in der Methodik des „Genome-Editing“. Heute ist es möglich, unter Verwendung der CRISPR/Cas-Methode ohne großen Aufwand sehr gezielt einzelne Genabschnitte zu verändern. Es ist zu befürchten, dass durch die neuen Techniken in den nächsten Jahren immer neue Tiermodelle entwickelt werden und so die Zahl der „Versuchstiere“ steigen wird, anstatt zu sinken. Deswegen ist es jetzt entscheidend, die ethischen Grenzen effektiv zu ziehen, um die genetische Integrität und Identität der Tiere zu schützen.

Schädlingsbekämpfung durch Gentechnik?
Eine weitere Anwendung der neuen „Genome-Editing“-Werkzeuge, an der in den letzten Jahren intensiv geforscht wurde, ist der sogenannte „Gene-Drive“. Der „Gene-Drive“ verursacht eine beschleunigte Ausbreitung bestimmter Gene. So können schädliche Gene, wie zum Beispiel ein Unfruchtbarkeitsgen, in eine Population eingebracht werden. Nach wenigen Generationen findet es sich bei allen Nachkommen wieder, so dass alle Individuen der Population unfruchtbar sind und letztlich die gesamte Population ausstirbt. Das Prinzip des „Gene-Drive“ ist derzeit hauptsächlich bekannt als Lösungsansatz für die Bekämpfung krankheitsübertragender oder landwirtschaftsschädigender Insekten, deren genetische Manipulation rechtlich nicht als Tierversuch gilt. Allerdings ist auch schon der mögliche Einsatz bei der Bekämpfung sogenannter lokaler Plagen durch Säugetiere, wie Ratten oder Feldmäuse, im Gespräch. Derzeit werden mögliche Risiken für Umwelt und ethische Bedenken solcher Vorhaben diskutiert. Es ist zu hoffen, dass es bei der Theorie bleibt.

Segen der Gentechnik: Fortschritte in vitro
Die brandneuen Techniken zum „Genome Editing“ lassen sich allerdings auch auf humane Zellkulturen und sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) anwenden. Hier kann die Gentechnik ein Segen sein. Sie ermöglicht es, tierleidfreie, human-spezifische Krankheitsmodelle zu entwickeln und die molekularen Vorgänge in menschlichen Zellen zu erforschen. In den richtigen Händen kann die moderne Gentechnik so einerseits die Humanrelevanz der biomedizinischen Forschung verbessern und gleichzeitig Tierversuche ersetzen.