Deutschland ist der größte Milcherzeuger der EU. Rund 4 Millionen „Milchkühe“ stehen derzeit in Deutschlands Ställen, Tendenz fallend, denn immer weniger Kühe haben eine immer höhere Milchleistung. Doch was die Milchproduktion für die sogenannten Milchkühe bedeutet, wissen viele Verbraucher*innen nicht. Fern von grünen Wiesen, fristen sie ihr Leben als Hochleistungsproduzenten – mit gravierenden gesundheitlichen Folgen.
Einseitige Zucht auf Milchmenge
In den letzten 100 Jahren wurde die Milchleistung der Kühe um das Zehnfache gesteigert. Durch einseitige Zucht auf Milchmenge und eine ausgeklügelte Fütterung mit Kraftfutter wird eine moderne „Hochleistungskuh“ der Rasse Holstein-Friesian heute dazu gezwungen, jährlich zwischen 8000 und 11000 Liter Milch zu produzieren. “Spitzentiere“ geben bis zu 14.000 Liter pro Jahr. Vor 60 Jahren gab eine Kuh nur ungefähr 700 Liter pro Jahr. Bei einer Menge von bis zu 50 Litern pro Tag vollbringt ihr Organismus die Stoffwechselleistungen eines Dauermarathons. Um zu illustrieren, wie unnatürlich hoch eine Milchleistung von 50 Litern pro Tag ist, wird deutlich, wenn man miteinbezieht, dass ein Kalb täglich nur ca. 8 Liter trinkt.
Nach vier bis fünf Jahren ausgezehrt
Die enorme Milchleistung bringt den Organismus der Kuh in Grenzbereiche. Erkrankungen infolge der Geburt und Stoffwechselprobleme aufgrund der Laktation führen häufig dazu, dass etwa 40 Prozent der Milchkühe schon zwei bis drei Laktationen ausselektiert werden und schon mit vier bis fünf Jahren auf dem Schlachthof landen. Dabei könnte eine Kuh 20 Jahre und älter werden.
Stoffwechselleistungen eines Dauermarathons
Die gesundheitlichen Folgen für die Kühe sind mannigfaltig. Dazu gehören Fruchtbarkeitsstörungen, Festliegen nach der Geburt (Gebärparese), Nachgeburtsverhalten, Gebärmutterentzündungen, Euterentzündungen und Labmagenverlagerungen. Während der Laktation steigt zudem der Energiebedarf der Kuh und muss insbesondere bei extrem hoher Milchleistung durch hochkalorische Nahrung in Form von Kraftfutter gedeckt werden. Aufgrund dessen, dass Milchkühe jedoch nicht unbegrenzt Futter aufnehmen können, bewegt sich ihr Stoffwechsel auf einem schmalen Grat.
Hohe Milchleistung führt zu Abbau des eigenen Körperfetts
Bei zu geringer Energiezufuhr läuft eine Hochleistungskuh Gefahr, ihr eigenes Körperfett abzubauen, um die Milchleistung erbringen zu können. Dabei kommt es zu einer sogenannten Ketose, mit der Folge einer Verfettung der Leber. Bekommen die Wiederkäuer, die naturgemäß ihre Energie aus Weidegras oder Heu beziehen, Futter mit hohem Kraftfutteranteil kommt es ebenfalls zu Problemen infolge einer „Azidose“. Übersteht sie die Laktation, so hat sie mit großer Wahrscheinlichkeit Probleme, erneut tragend zu werden, ohne gynäkologische Probleme abzukalben und gesund in eine neue Laktation zu gehen.
Gesundheits- und Verhaltensproblemen
Die hier genannten „Berufskrankheiten“ der Milchkühe treten insbesondere nach der Geburt des Kälbchens bzw. in den ersten 100 Tagen der Laktation auf, also in der Zeit, in der die größte Milchmenge produziert wird. Schon das 2015 vom damaligen Bundesminister Schmidt vorgestellte Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft bemängelte u.a., dass die bei Milchkühen im Vordergrund stehenden Erkrankungen zahlenmäßig nicht so belegt werden können, weil hierzu keine ausreichende Datensammlung vorliegt, und viele Erhebungen zudem nicht öffentlich einsehbar sind. Das Gremium sagt aber auch klar, dass die starke Konzentration auf die Leistung (Milch) zu einer hohen Empfindlichkeit der Tiere gegenüber Gesundheits- und Verhaltensproblemen führt, die nur von einem Teil der Landwirte bewältigt werden können.
Bis zu 200.000 Kälber werden jährlich getötet
Hinzu kommt das Leid der Kälber. Um Milch zu geben, muss jede Kuh jährlich ein Kalb gebären. Von diesem wird sie direkt nach der Geburt gewaltsam getrennt – eine hochtraumatisierende Erfahrung für Mutterkuh und Kalb. Die Kälber werden dann mutterlos aufgezogen. Bullenkälber werden noch im Kindesalter oder nach einer kurzen Mast geschlachtet. Schwächere Kälber werden teilweise schon vorher getötet, weil es – ähnlich wie bei den männlichen Eintagsküken der sogenannten Legehennen – unwirtschaftlich ist, sie aufzuziehen. Da die Landwirte ihre Kälber erst bis zum siebten Tag registrieren müssen, bleibt ihnen genug Zeit, um ein schwaches männliches Kalb unbemerkt loszuwerden. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 200.000 Kälber in den ersten drei Lebensmonaten verenden oder getötet werden. In den Bundesländern wie Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern werden schätzungsweise bis zu 16 Prozent der Jungtiere „entsorgt“. Dabei gilt: Je größer die Betriebe, desto höher die Mortalität.
Opfer einer gnadenlosen Marktlogik
Die Bauern, die dabei am Pranger stehen, sind dabei selbst Opfer einer gnadenlosen Marktlogik: Mehr als 100 Euro muss ein Milchbauer in ein männliches Kalb investieren, bevor er es an einen Mäster verkaufen kann. Doch der Erlös für ein gesundes Tier liegt teilweise nur bei knapp acht Euro. Das macht ein Bullenkälbchen zu einem Verlustgeschäft. Für viele sind dann sogar 20 Euro für Abdecker und die Tierkörperverwertungsanstalt zu viel.
Maßnahmen für ein Ende der grausamen Milchproduktion
Um die Missstände in der Milchproduktion zu beenden, spricht sich der Bundesverband Menschen für Tierrechte für einen Ausstieg aus der Milchproduktion aus. Landwirte, die auf den Anbau von Pflanzen umsteigen wollen, müssen explizit gefördert werden. Weitere Maßnahmen sind eine höhere Bepreisung tierischer Produkte sowie eine Berücksichtigung der klimaschädlichen Landwirtschaft beim Emissionshandel. Doch auch der Verbraucher ist gefragt: Je mehr Menschen zu gesunden kuhmilchfreien Alternativen greifen, je deutlicher ist das Zeichen an Handel und letztlich auch die Produzenten, auf tierfreundliche Milchalternativen umzustellen.