Interviews Tierrechte

Interview: „Tierrechte werden kommen“

Der Jurist Dr. Eisenhart von Loeper ist überzeugter Tierrechtler. Eisenhart von Loeper, geboren 1941 in Potsdam, promovierter Rechtsanwalt in Nagold, engagiert sich seit gut 50 Jahren für die Rechte von Tieren. Dabei nutzt er alle Mittel, die unser Rechtsstaat erlaubt. Die Palette reicht vom wissenschaftlichen Gutachten bis zum zivilen Ungehorsam. Von 1987 bis 2006 war er Vorsitzender unseres Bundesverbandes Menschen für Tierrechte. In dieser Funktion hat er an vorderster Front für die Abschaffung der Käfighaltung von Hühnern und für die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz gekämpft. Dafür wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Er ist Kommentator des Tierschutzgesetzes (1) und derzeit im Vorstand der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz tätig. Mit seiner Fachkunde und als namhafter Autor juristischer Kommentare hat er die Weiterentwicklung des Tierschutzrechts vorangetrieben. Seine Prognose für die Zukunft: Die Abschaffung von Massentierhaltung und Tierversuch wird kommen.

Tierrechte: Gab es ein Schlüsselerlebnis, das dich motivierte, dich für die Tierrechte einzusetzen?

Eisenhart von Loeper: In meiner frühen Kindheit habe ich den Krieg mit Bombenangriffen über Berlin, die Flucht und andere tiefe Erschütterungen erlebt, die ergaben, wie verletzlich unser Leben ist. Mit meiner elterlichen Familie fand ich später ein neues Zuhause mit einem Garten, der wie eine Oase von Lebensfreude schien. Dort betreute ich einige Hühner. Als sie wegen eines erneuten Umzugs plötzlich geschlachtet waren und Hühnersuppe auf dem Tisch stand, hat mich das als zwölfjähriger Junge aufgewühlt. Den Verzehr verweigerte ich, weil ich erschüttert die Todesnot der Hühner vor Augen sah und ihr Schicksal wie ein eigenes erlebte. Diese Nähe zu Tieren prägte mich für spätere Jahre.

Tierrechte: Was sind deine Beweggründe? Was treibt dich auch nach Jahren des Engagements für die Tiere immer noch an?

Eisenhart von Loeper: Ich bin dankbar für ein selbst bestimmtes Leben, mit dem ich mitfühlend, aber auch tatkräftig etwas wiedergeben kann von dem, was mich erfüllt. Nie in der Geschichte des Lebens auf diesem Planeten war unsere Mitwelt so sehr gequält, zerstört und exitentiell bedroht durch vermessene, manipulative Übergriffe des Menschen. Nur eine radikale Umkehr der Menschheit aus Achtsamkeit für das Leben kann uns noch zur Zukunft befähigen. Das muss von Grund auf geschehen. Die regional praktizierte, weltweit erstrebte Anerkennung und Umsetzung der Tierrechte sind ein Weg, um den Tieren als unseren Weggefährten Raum zu geben und damit mehr Gerechtigkeit und Frieden zwischen Mensch und Mitwelt aufzubauen.

Tierrechte: Du hast die Abschaffung der Käfighaltung für Legehennen von 1978 bis zum Erfolg (in 2001) verfolgt. Du bist ebenso der „ geistige Vater“ des Staatsziels Tierschutz (eine Kampagne, die von 1990 bis 2002 dauerte). Welcher Ansatz war wirksam und warum?

Eisenhart von Loeper: Wer den Gipfel eines Berges erklimmen will, muss das Ganze sehen und den Weg aufsteigend gehen. Die stärksten inneren Säulen eines solchen Ganges sehe ich in der Haltung, die unser aufmerksames Mitgefühl und Verstehen verbindet, im dienenden Zusammenwirken mit Anderen, deren je eigene Stärke wichtig ist, und im interdisziplinäres Kooperieren, das sich für die Gesellschaft gewinnend auswirken soll. Im Rechtsstaat gilt es, sich dem verstaubten Motto „kein Platz für Tiere“ nachhaltig entgegenzustellen, und zwar durch Anwendung des „geltenden“ Tierschutzgesetzes sowie Ins-Werk-Setzen seiner uns gelungenen Stärkung im Grundgesetz. Das braucht juristisches Können, glaubwürdiges eindringliches Engagement, aber auch kreatives Dranbleiben in immer neuen Situationen. Selbst gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster, das die Massentötung männlicher Eintagsküken allein aus wirtschaftlichen Gründen billigte, läuft übrigens ein höchst umfangreich und eindringlich begründetes Rechtsmittel zum Bundesverwaltungsgericht.

Tierrechte: Wenn du heute diese Kampagnen noch einmal starten müsstest, würdest du etwas anders machen? Wenn ja, was?

Eisenhart von Loeper: Eine Kampagne kann nur tragfähig sein, wenn sie die Herzen der Menschen stark bewegt und im praktischen Handeln zusammenführt. Bevor aber die gesellschaftliche Realität des schweren Missbrauchs an Tieren sich ändert, muss sehr viel zusammenkommen. Heute würde ich der Arbeit mit den Medien mehr Gewicht beimessen. Aber insgesamt finde ich den damaligen Einsatz überzeugend gelungen, auch wenn die Breitenwirkung des Wandels für die Tiere noch vor uns liegt.

Tierrechte: Welche Erfahrungen aus den Jahrzehnten deiner Tierrechtsarbeit gibst du zukünftigen Aktionen und Kampagnen mit auf den Weg? Gibt es hier neue Ansätze?

Eisenhart von Loeper: Mir lag und liegt am Bauen von Brücken, die den Freiraum der Menschen sinnerfüllt machen, in dem Freude und Leid zwischen Menschen und Tieren geteilt wird und daraus Stärke erwächst, die gesellschaftlich gewinnend wirkt. Die nach uns Kommenden werden ihre ureigenen Einsichten und Erfahrungen zur Idee und Realisierung von Tierrechten gewinnen. Immer wird es aber, so glaube ich, auf mitmenschliches Einfühlungsvermögen und zielbewusstes Arbeiten ankommen, mit dem wir uns identisch fühlen. Eine Aktion oder Kampagne ist dann gut, wenn sie Leid und Not der Tiere oder deren Folgen sichtbar macht und mutig Zeichen setzt.

Tierrechte: Welche Zukunftsperspektiven siehst du? Wird sich in absehbarer Zeit für die Tiere etwas zum Besseren verändern?

Eisenhart von Loeper: Die Tierschutz-Verbandklage ist der überfällige Folgeschritt zum Staatsauftrag für den Tierschutz. Der Begriff „Staatsziel“ ist mir zu sehr in die Ferne gerückt, wo es doch um gegenwärtige Handlungsaufträge für den Tierschutz geht. Einzelne Bundesländer sind damit vorangegangen. Auf Bundesebene müssen die Parteien anlässlich der Bundestagswahl erklären, ob sie diese Verbandsklage bundesweit einführen wollen. Vor allem muss dieses Rechtsinstrument so stark und kompetent wie möglich gegen tierwidrige Massentierhaltungen, gegen spezielle Tierversuche und beim Versagen der Kontrollbehörden genutzt werden. Die Tierschutzorganisationen haben hier eine große Verantwortung, die hohen Sachverstand erfordert, die aber auch anhand von Konfliktfällen intensiv wahrgenommen werden muss.

Tierrechte: Landwirtschaftliche Tierhaltung und Tierversuche repräsentieren die größten Bereiche der Tiernutzung in unserem Rechtsstaat, deren gesellschaftliche Akzeptanz abnimmt. Was genau kann den Paradigmenwechsel für die Tiere voranzutreiben?

Eisenhart von Loeper: Der Paradigmenwechsel für die Tiere wird umso mehr gelingen, als die große emotionale Nähe zwischen Mensch und Tier, aber auch das art-übergreifende Verstehen der Zusammenhänge selbstverständlich werden und die Entscheider über Tierschicksale sich dem nicht mehr entgegenstellen können. Immer muss die ganzheitliche Sicht ins Spiel kommen, die eine Schädigung des Tieres als Rechtsbruch am Tier und schädlich für das Wertbewusstsein des Menschen für „Schwächere“ ausweist. Tierschutz ist, wie Albert Schweitzer schon sagte, Erziehung zur Menschlichkeit. Der Leitgedanke „Menschen für Tierrechte“ sollte sich ins Herz der Gesellschaft einprägen, der Menschen und der Tiere wegen.

Tierrechte: Was können die Wissenschaft (z. B. Rechtswissenschaft), Forschung, Rechtsprechung, Politik (Gesetzgeber), Medien und Zivilgesellschaft dazu beitragen? Auf welche dieser Stakeholder kommt es besonders an?

Eisenhart von Loeper: Die Rechtsprechung entscheidet in beispielhaften Präzedenzfällen und kann dann den Weg freigeben für die Korrektur von Tiermissbrauch, so etwa bei der Kastenstandhaltung von Sauen. Die Gerichte sind aber angewiesen auf engagierte, kompetente Anwälte und auf ihnen aus der Zivilgesellschaft und vom Auftraggeber vermitteltes Wissen, das in der öffentlichen Meinung zählt. Es kommt immer darauf an, wer mit wem oder gegen wen spielt, welche „Steilvorlagen“ es gibt und wie dann Bälle „verwandelt“ werden. Training, Disziplin, Können vermögen viel, aber zum Gelingen gehören auch Intuition und pointierte Präsenz im Augenblick.

Tierrechte: Was können und sollten Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen wie der Bundesverband dazu beitragen?

Eisenhart von Loeper: Der bedeutsame Beitrag des Bundesverbandes lebt gewiss zuerst – nach innen – vom bewegenden, sinnerfüllten Einsatz seiner Mitglieder. Und – nach außen – braucht es prägende Projekte, die Wiedererkennungswert schaffen und im Trend für die Tiere liegen: Die bundesweite Einführung der Tierschutz-Verbandsklage ist der Folgeschritt zum Staatsauftrag Tierschutz. Das würde gesellschaftlich und für die Behörden, die zur Kontrolle verpflichtet sind, vermitteln, dass Tiere einklagbare Rechte haben. Darüber hinaus leistet der Bundesverband Wesentliches, indem er sich sehr kompetent für die Förderung tierversuchsfreier Verfahren und für eine möglichst bio-vegane Landwirtschaft engagiert. Zudem sollten rechtliche Vorstöße zur Überwindung tierwidriger und qualvoller Haltungssysteme gefördert werden, zumal so etwas auch stets publizistischen Rückhalt erwarten lässt.

Tierrechte: Gibt es Hinweise darauf, dass die Entwicklung der Tierrechte voranschreitet?

Eisenhart von Loeper: Auf der Rechtsebene ist gegenwärtig die Justiz gefordert, die relativ unbestimmten Rechtsbegriffe des Tierschutzrechts im Spiegel seiner Verankerung im Grundgesetz tierfreundlich auszulegen. Das ist ein noch heftig umstrittenes Feld, weil Richter oft von ihrem Vorverständnis geprägt sind, zugleich aber die öffentliche Meinung eine Rolle spielt. Die Entwicklung für Tierrechte dürfte mit der zu nutzenden Tierschutz-Verbandklage und tierfreundlichen Entscheidungen, die dem Staatsauftrag Tierschutz entsprechen, gerade im Bereich der Abschaffung quälerischer Tierhaltungssysteme vorankommen.

Tierrechte: Was kann jeder Einzelne dazu beitragen?

Eisenhart von Loeper: Das kann nur jede und jeder für sich beantworten und spüren, wie es ihr oder ihm damit geht. Selbst scheinbar in eine andere Richtung Weisendes sei in meinem Fall genannt: ich engagiere mich seit sechs Jahren stark gegen das Bahnprojekt „Stuttgart 21“. Wer sich mit meiner Vita vertraut macht, sieht dann im Internet, dass ich mich jahrzehntelang – auch mit Erfolg – für Tierrechte eingesetzt habe. Damit wird – und das freut mich – das unteilbar Zusammengehörige des eisernen und einfühlsamen Kampfes für Menschenrechte und für Tierrechte sichtbar.

Tierrechte: Wenn du deinen Blick auf zwei bis drei Generationen weiter in die Zukunft richtest, wenn deine Enkel dein Alter erreicht haben werden, wie könnten sich die Tierrechte entwickelt haben?

Eisenhart von Loeper: Die Massentierhaltung zu Ernährungszwecken, Tierversuche – vielleicht von wenigen Ausnahmen abgesehen – und das Zufügen von Tierqualen sind abgeschafft. Die wohltuende Wirkung der Mensch-Tier-Kommunikation und das Staunen über Geheimnisse, die uns aus der Tierwelt vermittelt werden, lassen uns auf die vergangenen unsagbar schweren Frevel an Tieren mit tiefer Betroffenheit zurückblicken – ähnlich wie auf jene Zeit, in der es Menschensklaven oder Hexenprozesse gab. Die internationale und globale Geltung der Tierrechte dürfte dann zur vorrangigen Aufgabe erstarkt sein.

Das Interview führte Dr. Christiane Baumgartl-Simons.

(1) Kommentar Tierschutzgesetz, Kohlhammer-Verlag 2002, Herausgeber Hans-Georg Kluge