Interviews Tierrechte

Interview: Staatsziel Tierschutz – Hohlkörper ohne Beißkraft?

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Was hat die Einführung der Staatszielbestimmung Tierschutz 2002 für die Tiere gebracht? Dies fragten wir die Juristin Carmen Lööck, die sich mit diesem Thema in ihrer vor kurzem veröffentlichten Doktorarbeit beschäftigt hat.

Tierrechte: Frau Dr. Lööck, 15 Jahre nachdem der Tierschutz in Artikel 20a des Grundgesetzes verankert wurde, hat sich – aus unserer Sicht – für die Tiere wenig bis nichts verbessert. Nach dem Oberverwaltungs- gericht Münster ist die Tötung von fast 50 Millionen männlicher Küken mit dem Tierschutzgesetz vereinbar. Ist das Staatsziel Tierschutz ein Hohlkörper ohne Beißkraft?

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Carmen Lööck: Die Einführung der Staatszielbestimmung hatte – wie bereits von Vielen kritisiert – eher symbolischen Charakter. Der Tierschutz hat zwar aufgrund der Verankerung im Grundgesetz große Aufmerksamkeit bekommen, allerdings hat diese Aufmerksamkeit nicht zu einer Änderung in der Rechtsprechung geführt. Wie an dem beispielhaften Urteil des OVG Münster erkennbar ist, spielen weiterhin wirtschaftliche Belange eine weit größere Rolle als der Tierschutz.

Tierrechte: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Schächten war Anlass für die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz. Doch was hat dies den Tieren gebracht? Das betäubungslose rituelle Schlachten ist in Deutschland heute noch immer möglich.

Carmen Lööck: Das Bundesverfassungsgericht hatte in der Entscheidung zum Schächten vom 15.01.2002 nicht die Möglichkeit, das Schächten für unzulässig zu erklären und damit den Tierschutz in diesem Bereich zu erweitern. Es handelte sich bei dieser Entscheidung um eine Verfassungsbeschwerde, bei der nur Grundrechte bzw. grundrechtsgleiche Rechte gegeneinander abgewogen werden können. Dadurch, dass dem Tierschutz kein Verfassungsrang verliehen war, überwog automatisch die allgemeine Handlungsfreiheit des Metzgers in Kombination mit der Religionsfreiheit. Es bleibt abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht in einem ähnlichen Fall nach Einführung der Staatszielbestimmung entscheiden würde, sollte es noch einmal dazu kommen.

Tierrechte: Ein im März 2016 veröffentlichtes Rechtsgutachten zur Umsetzung der EU-Tierversuchsrichtlinie 2010/63 /EU in deutsches Recht listet 18 tierschutzrelevante Verstöße. Als besonders gravierend wird gewertet, dass der Genehmigungsbehörde kein eigenständiges Prüfrecht im Hinblick auf die „Unerlässlichkeit“ und des „Nutzens“ eines Tierversuchs zusteht, um die „ethische Vertretbarkeit“ zu ermitteln. Wie bewerten Sie diese Genehmigungspraxis vor dem Hintergrund des Staatsziels Tierschutz?

Carmen Lööck: Diese Auslegung der Vorschrift verstößt nicht nur klar gegen die EU-Tierversuchsrichtlinie, sondern auch gegen die deutsche Staatszielbestimmung Tierschutz. Im Jahre 2002 wurde die Entscheidung getroffen, dem Tierschutz durch die Verankerung in dem Grundgesetz einen höheren Stellenwert einzuräumen. Dies ist bisher gerade im Bereich der Tierversuche nicht in den einfachgesetzlichen Regelungen erkennbar. Dies ist aber nicht nur an den deutschen Vorschriften erkennbar. Bereits bei der Ausarbeitung der EU-Tierversuchsrichtlinie war Deutschland einer der Staaten, die darauf hingewirkt haben, dass die ursprünglich gestellten Gesetzesforderungen abgemildert werden.

Tierrechte: Beispiel Hennenhaltung: Erst nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Haltungsvorgaben für Legehennen im Jahr 2012 kam es 2015 zu einem Verbot der Käfighaltung von Hennen in der sogenannten Kleingruppenhaltung ab 2025. Woran liegt es, dass – obwohl der Tierschutz Verfassungsrang hat – derartige Konflikte bis in die höchste Instanz ausgetragen werden müssen? Was muss sich im Sinne der Tiere ändern?

Carmen Lööck: In Deutschland binden Gerichtsentscheidungen nur die jeweilig am Verfahren beteiligten Parteien. Eine allgemeine Wirkung ist nicht vorgesehen. Nur dem Bundesverfassungsgericht steht es als letzte Instanz zu, über die Verfassungsmäßigkeit der deutschen Gesetze zu entscheiden. Dies ist richtig und wichtig, damit in dem entscheidenden Punkt der Verfassungsmäßigkeit keine divergierenden Entscheidungen ergehen. Solche Verfahren können und müssen daher weiterhin bis zum Bundesverfassungsgericht ausgetragen werden. Änderungen zugunsten der Tiere müssen von jedem Einzelnen vorgenommen werden. Es kann zum Beispiel jeder darauf achten, welche tierischen Produkte er kauft. Was der Einzelne aber auch beitragen kann, ist gewillt zu sein, gerade im Strafverfahren als Zeuge auszusagen, damit dem Täter die Tat auch nachgewiesen werden kann.

Tierrechte: Nicht nur Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen sondern auch Amtstierärzte klagen, dass aus ihrer Sicht eindeutige Verstöße gegen das Tierschutzgesetz von den Justizbehörden nicht als solche angesehen werden. Die Verfahren ziehen sich (zu) lange hin, werden eingestellt oder es wird nur ein geringes Strafmaß verhängt. Deckt sich dies mit Ihren Erkenntnissen?

Carmen Lööck: Dies deckt sich mit den Ergebnissen meiner Recherche. Ich habe neben Daten des Statistischen Bundeamtes über Deutschland Verfahren, die bei den Staatsanwaltschaften Flensburg und Lübeck in den Jahren 2009-2013 geführt wurden, ausgewertet. Dabei bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die mit der Einführung des Tierschutzes in das Grundgesetz verbundenen Hoffnungen für die Ausweitung der Bedeutung der Tiere im Strafverfahren nicht erfüllt haben. Viele Verfahren werden weiterhin aus Opportunitätsgründen eingestellt. Auch die Erwartung auf höhere Strafen wurde bisher nicht erfüllt. Es werden weiterhin zu 90 Prozent Geldstrafen verhängt, wobei die Anzahl der Tagessätze leicht angestiegen ist. Auffällig bei den Freiheitsstrafen ist, dass die im Jahre 1998 vorgenommene Erhöhung auf drei Jahre in der Praxis bisher keine Anwendung gefunden hat.

Tierrechte: Eine explorative Studie des Thünen-Instituts mit Veterinären und Staatsanwälten kam 2015 zu dem Ergebnis, dass entscheidende Faktoren für die Ablehnung von Verfahren in der sogenannten Nutztierhaltung geringe Fachkenntnisse der beteiligten Staatsanwälte und Richter, ein geringes Engagement und Interesse am Tierschutz sowie die schlechte personelle Ausstattung der Staatsanwaltschaften und Veterinärämter ist sind. Was müsste sich ihrer Meinung nach ändern, um die Umsetzung Durchsetzung des Tierschutzrechts voranzubringen?

Carmen Lööck: Meiner Meinung nach kann einigen dieser Faktoren dadurch begegnet werden, dass für die Tierschutzstraftaten bei den Staatsanwaltschaften ein Sonderdezernat gebildet wird. Damit sind bestimmte Staatsanwälte für die Verfahren in Tierschutzsachen zuständig. Auf diesem Weg gelingt es ihnen, das nötige Fachwissen zu erlangen. Wenn für jeden neuen Tierschutzfall ein anderer Staatsanwalt zuständig ist, besteht für diesen aufgrund des sehr hohen Arbeitsaufkommens nicht die Möglichkeit, sich das nötige Fachwissen anzueignen. Gerade in kleineren Verfahren ist es außerdem üblich, dass nicht derjenige, der die Anklage geschrieben hat, tatsächlich in der Verhandlung auftritt. Gerade in Tierschutzfällen sollte dies geändert werden, da dann der Sonderdezernent mit seinem Fachwissen auf die Aussage des Angeklagten eingehen kann.

Das geringe Engagement hat meiner Ansicht nach mit der geringen personellen Ausstattung der Staatsanwaltschaften zu tun. Da in Tierschutzverfahren der Tatnachweis und hier insbesondere der Vorsatz sehr schwer zu führen ist, müssen diese Verfahren oftmals aufgrund von Zeitmangel hinter Verfahren, in denen mit einer Verurteilung zu rechnen ist, zurückstehen.
Wenn also effektiv stärker gegen Verstöße gegen das Tierschutzgesetz vorgegangen werden soll, ist es nötig, die zuständigen Behörden, hier also das Veterinäramt und die Staatsanwaltschaft, mit mehr Personal auszustatten.

Tierrechte: Wie schätzen Sie die Wirkungsmacht des Verbandsklagerechtes für Tierschutzorganisationen ein, um Behördenentscheidungen und die Rechtmäßigkeit von Haltungsvorgaben zu überprüfen?

Carmen Lööck: Ich habe mich in meiner Dissertation für die Einführung eines Verbandsklagerechtes für Tierschutzvereine ausgesprochen. Im Moment haben wir in Deutschland zwar eines der in Europa führenden Tierschutzgesetze, allerdings entfaltet auch das beste Gesetz keine Wirkung, wenn es nicht die Möglichkeit gibt, Entscheidungen von Behörden auf ihre Rechtmäßigkeit hin vor Gericht überprüfen zu lassen. Der bisher im Tierschutzgesetz eingeführte Treuhänder, der Tierschutzbeauftragte in Tierversuchseinrichtungen, lieferte keine garantierte Überprüfung. Denn auch dieser Mitarbeiter der Tierversuchseinrichtung kann weiterhin Tierversuche durchführen. Es besteht die Gefahr, dass sich gegenseitig Gefälligkeitsentscheidungen erteilt werden.

Im Moment können Behörden ihre Entscheidungen fällen, ohne mit einer Überprüfung rechnen zu müssen. Dies kann mit der Bedeutung des Tierschutzes aufgrund der Aufnahme in das Grundgesetz nicht in Einklang gebracht werden. Meiner Ansicht nach würde sich durch die Einführung des Verbandsklagerechts für Tierschutzorganisation die Situation für Tiere verbessern. Außerdem würde es durch die vermehrte Rechtsprechung zu den Normen des Tierschutzgesetzes zu einer Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe dieses Gesetzes kommen. Auch die befürchtete Klageflut würde ich nicht auf die Gerichte zukommen sehen, da die Tierschutzorganisationen aufgrund des Kostenrisikos die Verfahren, in denen sie Klage erheben würden, sorgfältig auswählen müssten.

Die Fragen stellte Christina Ledermann


Das Tierschutzstrafrecht nach Einfügung der Staatszielbestimmung Tierschutz

In ihrer Dissertation untersucht die Juristin Carmen Lööck die Entwicklung des Tierschutzes im deutschen und europäischen Recht. Ihr Ziel ist zu untersuchen, wie die Staatszielbestimmung Tierschutz die tierschutzrechtlichen Strafverfahren in Deutschland beeinflusst hat. Dabei fokussiert sie besonders auf die beiden Dauerthemen Tierversuche und Schächten.

 

 

Das Tierschutzstrafrecht nach Einfügung der Staatszielbestimmung ‚Tierschutz‘ in das Grundgesetz (Art. 20a GG)
Strafrecht in Forschung und Praxis, Band 327
Carmen Lööck
ISBN 978-3-8300-8904-9
246 Seiten
88,90 Euro