Industrielle Tierhaltung

Industrielle Tierhaltung: „Es ist bereits weit nach zwölf!“

Es gibt nur wenige Amtstierärzte, die sich so für Tiere einsetzen wie Dr. Hermann Focke. Über 30 Jahre arbeitete er im Epizentrum der industriellen Tierhaltung. Mutig und kompromisslos kritisierte er die Missstände, legte sich mit der mächtigen Landwirtschaftslobby an und riskierte dafür mehrmals seine berufliche Karriere. Im Interview mit der tierrechte fordert er ein neues und eindeutig formuliertes Tierschutzgesetz, eine transparente Kennzeichnung von tierischen Produkten und einen radikalen Umbau der konventionellen Haltungssysteme.

1. Tierrechte: Herr Dr. Focke, Ende September 2016 wurden Undercover-Aufnahmen veröffentlicht, die katastrophale Zustände in den Mastanlagen führender Agrarlobbyisten zeigten. Haben die Bilder Sie überrascht?

Hermann Focke: Keineswegs: Es ist allerdings bestürzend, dass selbst in den Ställen führender, in der Öffentlichkeit den Berufsstand repräsentierender Agrarfunktionäre keine gute Tierhaltung vorzufinden ist. Die amtlichen Kontrollen sind leider oft unzureichend. Es ist nicht festgelegt, dass die Kontrollen unangemeldet erfolgen müssen, zudem sind die Ämter personell häufig unzureichend ausgestattet.

2. Tierrechte: Im Jahre 2002 wurde der Tierschutz zum Staatsziel erhoben. Welche Bilanz ziehen Sie persönlich?

Hermann Focke: Außer, dass viel Papier beschrieben worden ist hat sich nicht viel verändert. Im Bewusstsein der Menschen, der Öffentlichkeit, ist jedoch, nicht zuletzt dank der medialen Aufklärungsarbeit, die Sensibilität für dieses Thema gewachsen. Industrielle Nutztierhaltung findet kaum noch Akzeptanz.

3. Tierrechte: Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster ist die Tötung von fast 50 Millionen männlicher Küken mit dem Tierschutzgesetz vereinbar. Daran wird deutlich, dass das Staatsziel Tierschutz immer wieder ökonomischen Interessen untergeordnet wird. Was muss passieren, damit der Schutz der Tiere endlich mit den anderen Verfassungsgütern gleichgestellt wird?

Hermann Focke: Man will die Landwirtschaft partout in das System der freien Marktwirtschaft hineinpressen. Die sogenannte freie Marktwirtschaft ist aber nichts anderes als Zwangskapitalismus. Es muss zwanghaft und rücksichtslos immer mehr und immer billiger produziert werden, um Renditen zu erwirtschaften. Die Tiere und die gewachsenen landwirtschaftlichen Familienbetriebe müssen das ausbaden. Ihnen geht es dabei immer schlechter.

Die Politik hat zugelassen, dass die landwirtschaftliche Tierhaltung mit Einflussnahme von Lobbyisten der Agrarindustrie gesetzlich auf Minimalstanforderungen reduziert wurde, die alles andere als tiergerecht sind. In der „Massentierhaltung“ ist es nicht möglich, dem einzelnen Tier gerecht zu werden. Das Tierschutzgesetz ist aber auf jedes einzelne Tier anzuwenden! Unsere Tierhaltungsanlagen machen die Tiere krank. Wir brauchen höhere gesetzliche Standards, die gerade auch die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Verhaltensbiologie berücksichtigen. Und wir brauchen Bestandsobergrenzen genauso wie Mindestpreise für Milch, Fleisch und Eier.

4. Tierrechte: Statt stellvertretender Leiter des Veterinäramtes Vechta zu werden, hätten Sie auch an der Uni bleiben und habilitieren können. Warum haben Sie sich damals für die raue Welt eines Amtsveterinärs in einer der Hochburgen der Agrarindustrie entschieden?

Hermann Focke: Ich wollte primär bei den Tieren sein, etwas für die große Zahl der Nutztiere erreichen und nicht im Elfenbeinturm sitzen.

5. Tierrechte: Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie dazu motivierte, sich mehr als andere Amtsveterinäre für die Tiere einzusetzen?

Hermann Focke: Als ich als Veterinäramtsleiter in Cloppenburg im April 1992 Rindertransporte in den Nahen Osten abfertigen sollte, aber nicht wusste, ob denn die lückenlose Versorgung der Tiere auf diesem langen Weg gesichert war, wollte ich mir selbst ein Bild von den Verhältnissen machen, bevor ich die Papiere unterschrieb. Ab Mai 1992 habe ich aus eigenem Antrieb Tiertransporte bis zu den Verladehäfen des Mittelmeeres und des Schwarzen Meeres verfolgt und dabei schlimme Dinge erlebt. Ab diesem Zeitpunkt konnte ich aus meinem Selbstverständnis als Tierarzt nicht mehr zurück.

6. Tierrechte: Immerhin – mit Ihrer Fahrt nach Kroatien 1992 haben Sie dazu beigetragen, dass die EU am 23. Dezember 2005 das Ende der Subventionen für diese tierquälerischen Schlachttiertransporte beschlossen hat. Das war ein Erfolg – oder nicht?

Hermann Focke: Zunächst schien es so. Doch dann stellte sich heraus, dass die Schlachttiere in Zuchtrinder umdeklariert wurden. Die Transporte von Zuchtrindern wurden nicht selten weiter subventioniert. Die übergeordneten Behörden wurden von dieser Tatsache in Kenntnis gesetzt, über eventuell daraus gezogene Konsequenzen ist nichts bekannt.

7. Tierrechte: Wenn Sie auf Ihren Einsatz für die Tiere zurückblicken – was würden Sie heute anders machen?

Hermann Focke: Ich würde es im Großen und Ganzen wieder so machen.

8. Tierrechte: Weite Teile der Bevölkerung lehnen die agrarindustrielle Tierhaltung mittlerweile ab. Sogar der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik machte dem Bundeslandwirtschaftsminister mit seinem Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ 2015 unmissverständlich klar, dass die Gesellschaft diese Tierquälereien nicht mehr akzeptiert. Was glauben Sie – wird sich in absehbarer Zeit für die Tiere etwas zum Besseren verändern?

Hermann Focke: Ich sehe noch kein Licht am Horizont.

10. Tierrechte: Ein grundsätzlicher Gedanke ist: Wenn die Tierqual systemimmanent ist, was bringt dann die Reform eines an sich kranken Systems?

Hermann Focke: Nichts. Wir brauchen eine neue Wirtschaftsordnung, in der nicht Menschen- und Tierrechte den Renditeinteressen Einzelner untergeordnet werden.

11. Tierrechte: Wie schätzen Sie die Einflussmöglichkeiten der Bürger ein? Was können diese tun, damit sich für die Tiere tatsächlich etwas bessert?

Hermann Focke: Nur bedingt. Kaufentscheidungen einzelner Menschen können ein krankes System nicht verändern. Außerdem werden den Käufern die nötigen Informationen für eine bewusste Kaufentscheidung vorenthalten. Er erfährt im Supermarkt nichts über die Tierhaltung. Die Bürger sollten aber auf allen Ebenen die Politiker dazu drängen, für eine aussagefähige Kennzeichnung von Milch und Fleisch zu sorgen, und zwar auch in verarbeiteten Produkten.

12. Tierrechte: Welchen Beitrag können und sollten Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen dazu leisten?

Hermann Focke: Immer wieder Defizite in den Tierhaltungen darstellen und die breite Öffentlichkeit aufklären.

13. Tierrechte: Nach dem faktischen Scheitern der Initiative Tierwohl des Handels hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt eine verpflichtende staatliche Kennzeichnung von Lebensmitteln tierischer Herkunft angekündigt. Wie müsste eine solche Kennzeichnung aussehen, damit sie tatsächlich etwas bringt?

Hermann Focke: Schon seit etlichen Jahren wird eine derartige verpflichtende Kennzeichnung von Tierschutz- und Verbraucherschutzverbänden gefordert. Agrar- und Lebensmittelindustrie haben dies jedoch bisher zu verhindern gewusst. Sollte aber in absehbarer Zeit eine entsprechende Änderung erfolgen, dann ist es unbedingt erforderlich, dass die Eckwerte für artgerechte Haltungsbedingungen sich nicht an den rechtlich festgeschriebenen völlig unzureichenden Mindestwerten orientieren, sondern den Bedürfnissen der Tiere angepasst werden. Das Ganze kann zudem nur greifen, wenn dem Landwirt sein Mehraufwand für eine gute, möglichst optimale Tierhaltung adäquat bezahlt wird und letztlich nicht nur der Lebensmittelhandel daran verdient.

14. Tierrechte: Grundsätzlich zögern Sie nicht, auch den eigenen Berufsstand zu kritisieren. Doch auch Amtstierärzte stehen unter einem enormen Druck. Vor kurzem berichtete uns eine Veterinärin, die auf dem Schlachthof arbeitet, von den fast unüberwindlichen Hürden, selbst schwerwiegende Tierschutzverstöße bei Schlachtung und Transport zur Anzeige zu bringen. Zudem seien engagierte Tierärzte nicht selten Drohungen und Repressionen ausgesetzt. Können auch Sie von solchen Erfahrungen berichten?

Hermann Focke: Solche Erfahrungen gibt es. Sie werden dann gemacht, wenn der amtliche Tierarzt von seiner eigenen Behörde keine ausreichende Rückendeckung erhält. Das passiert dann, wenn Veterinäramtsleiter von der Kommunalverwaltung unter Druck gesetzt werden, dem sie nichts entgegensetzen, oder wenn sie auch selber der Auffassung sind, Veterinärämter seien für die Wirtschaftsförderung im Landkreis zuständig. Dann werden die amtlichen Tierärzte vor Ort von ihren eigenen Vorgesetzten unter Druck gesetzt.

15. Tierrechte: Wenn Sie ein junger Mensch fragen würde, ob Sie ihm oder ihr empfehlen würden, Tierarzt zu werden? Was würden Sie antworten?

Hermann Focke: Zunächst würde ich den jungen Menschen fragen, was seine Motive sind, diesen Beruf zu ergreifen. Grundsätzlich sollte die Empathie für die Tiere im Vordergrund stehen. Er oder sie sollte aber auch über die innere Stärke verfügen, sich gegen Widerstände zu behaupten und für die Bedürfnisse der Tiere einzutreten, so wie es auch im Ethikkodex der Tierärzteschaft formuliert ist.

16. Tierrechte: Neben der Kritik von Tierrechts- und Tierschutzorganisationen belegen zunehmend Gutachten und wissenschaftliche Veröffentlichungen massive Probleme bei Gesetzgebung, Rechtsprechung und Vollzug des Tierschutzrechts. So ergab eine Auswertung des Thünen-Instituts für Betriebswirtschaft zur Zusammenarbeit zwischen Veterinärämtern und Staatsanwaltschaften, dass auch eindeutige Verstöße gegen das Tierschutzgesetz von den Justizbehörden nicht als solche angesehen und nicht strafrechtlich verfolgt werden. Deckt sich dies mit Ihren Erfahrungen? Haben Sie konkrete Lösungsvorschläge?

Hermann Focke: Zwar haben wir in Artikel 20a unseres Grundgesetzes den Tierschutz zum Staatsziel erhoben und auch im Tierschutzgesetz werden die Tiere nicht mehr als Sachen angesehen. Noch dieses Faktum hat noch nicht ausreichenden Eingang in die Rechtsprechung gefunden. In der praktischen Rechtsprechung werden fast alle Verstöße gegen Tierschutzrecht als Ordnungswidrigkeiten abgehandelt. Erleichtert wird das der Justiz dadurch, dass das Tierschutzgesetz viele unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, die unnötige Auslegungsspielräume und Abwägungsmöglichkeiten eröffnen. So wurde z.B. im Urteil um das Kükenschreddern das wirtschaftliche Interesse des Firmeninhabers als vernünftiger Grund anerkannt. Deshalb brauchen wir als erstes dringend ein neu und eindeutig formuliertes Tierschutzgesetz.

17. Tierrechte: Gesundheitsexperten warnen seit Jahren eindringlich vor der Zunahme hochgefährlicher multiresistenter Keime durch den massiven Einsatz von Antibiotika in der industriellen Tierhaltung. Warum brachte das EU-weite Verbot von Antibiotika als Mastbeschleuniger 2006 keinen Fortschritt?

Hermann Focke: Die sogenannten Leistungsförderer nach Futtermittelrecht wurden im Wesentlichen ersetzt durch Antibiotika, die zu therapeutischen Zwecken zugelassen sind.

18. Tierrechte: Wenn statt der herkömmlichen Antibiotika die für die therapeutische Anwendung zugelassenen hochwirksamen Antibiotika und Reserveantibiotika (1) verwendet werden, ist das im Hinblick auf die Entwicklung von Resistenzen nicht noch schlimmer?

Hermann Focke: Natürlich! Je häufiger Antibiotika insgesamt in der Tier- und Humanmedizin eingesetzt werden, desto mehr Resistenzen entwickeln sich. Die Tierzahlen in der Landwirtschaft haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten rasant nach oben entwickelt. Ohne den Einsatz von Antibiotika sind diese Tiere oft nicht bis zur Schlachtreife zu bringen. Alleine deshalb hat der Verbrauch von Antibiotika massiv zugenommen. Gleichzeitig wird nicht genügend an der Entwicklung neuer antibiotischer Wirkstoffe geforscht, weil die Pharmafirmen diese Forschung nicht für lukrativ erachten. Es müsste aber im Interesse der Bundesregierung sein, die Erforschung neuer Wirkstoffe finanziell zu fördern. Unter den derzeitigen Bedingungen werden wir eine gefährliche Zunahme von Resistenzen in der Humanmedizin erleben, einen wirklichen Rückschritt in der medizinischen Versorgung von uns allen.

19. Tierrechte: Ende September meldete das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), dass das Antibiotika-Minimierungskonzept (2) des BMEL wirke. Alle Kennzahlen zur Therapiehäufigkeit seien im Vergleich zum Beginn der Erfassung der Daten gesunken. Beruhigt Sie das?

Hermann Focke: Nein. Die Kennzahl zur Therapiehäufigkeit sinkt auch dadurch, dass man Antibiotika einsetzt, die bei geringer Dosierung (in Milligramm) einen ausreichend hohen und langanhaltenden Wirkstoffspiegel erzielen. Diese Anforderungen erfüllen in erster Linie Antibiotika der neueren Generationen. Diese werden auch in der Humanmedizin eingesetzt. Die jüngsten Statistiken, die eine drastische Reduzierung des Antibiotikaverbrauchs widerspiegeln, sind bereits mehrfach korrigiert worden. Sie erscheinen mir nicht zuverlässig und aussagekräftig.

20. Tierrechte: Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt kündigte zudem an, den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung weiter zu verringern, beispielsweise durch die Aktualisierung der EU-Tierarzneimittelnovelle. Halten Sie das für zielführend?

Hermann Focke: Nein, weil sich der Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung nur verringern lässt, indem man von den Leistungszuchtzielen abrückt, indem man die Tierzahlen pro Bestand und Region drastisch reduziert und indem man die Tiere ihren eigenen Bedürfnissen entsprechend hält.

21. Tierrechte: Ungefähr 15.000 Patienten sterben jedes Jahr in deutschen Kliniken an den Folgen von Infektionen mit multiresistenten Keimen. Warum zieht die Politik nicht endlich die Reißleine?

Hermann Focke: Das frage ich mich auch!! Die politisch Verantwortlichen stellen ihr Interesse an der Förderung des Exports von Fleisch und Milch über das Interesse der Öffentlichkeit an ihrer Gesundheit. Wir können aber in unserem Land definitiv Fleisch und Milch nicht zu Weltmarktpreisen erzeugen, ohne massive ökologische und soziale Schäden zu verursachen und gegen geltende Gesetze zu verstoßen. Insofern handelt die Bundesregierung unverantwortlich und schadet dem Gemeinwohl. Ihre Aufgabe wäre es, die Produkte der heimischen Landwirtschaft zu schützen und nur Produkte in unseren Wirtschaftsraum zu lassen, die die hier gesetzten Standards erfüllen.

22. Tierrechte: Bedingt eine Reduktion der Antibiotika-Gaben nicht automatisch den radikalen Umbau der konventionellen Haltungssysteme?

Hermann Focke: Ein unbedingtes „Ja“!

23. Die Notwendigkeit der Reduktion von Antibiotika-Gaben als Mastbeschleuniger ist eindeutig. Doch die Diskussion über Antibiotikarückstände in Fleisch und Milch führen zu einem anderen tierschutzethischen Problem, nämlich dazu, dass einzelnen Tieren im Krankheitsfall wirksame Antibiotika zum therapeutischen Einsatz vorenthalten werden. Die Tiere werden eher geschlachtet als behandelt. Wie sehen Sie das?

Hermann Focke: Fakt ist, dass der überwiegende Anteil der Tiere, der zur Schlachtung kommt, nicht als gesund zu bezeichnen ist. Die Tiere werden durch die Leistungszucht und in den Mega-Ställen krank gemacht. Wenn bei 40 Prozent aller Schlachtschweine Verwachsungen zwischen Lunge und Brustfell festzustellen sind, bei 60 Prozent Umfangsvermehrungen und sonstige Veränderungen an den Gliedmaßen hervorgerufen durch die Haltung auf Betonspaltenböden, wenn bei Puten zu mehr als 60 Prozent Ballenverletzungen (Pododermatitiden) und zu mehr als 20 Prozent durch erhebliche Brustblasen auffallen, bei Kühen Euterentzündungen, Lahmheiten und Stoffwechselstörungen – sind diese Tiere dann gesund, auch wenn nach gesetzlicher Vorgabe die amtlichen Tierärzte bei diesen Befunden nicht die Schlachterlaubnis verweigern dürfen?

24. Tierrechte: Sie kritisieren selbst, dass die Kosten der kurz- und langfristigen Schäden durch die industrielle Tierhaltung nicht von den Verursachern getragen werden, sondern auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Was halten Sie in diesem Zusammenhang von dem Vorschlag einer Fleischsteuer?

Hermann Focke: Nicht viel. Dass eine Steuer erhoben wird bedeutet nicht automatisch, dass das so eingenommene Steuergeld auch zweckgebunden zur Verbesserung der Tierhaltung verwendet wird. Anders ist es bei Abgaben. Sie werden zweckgebunden entrichtet.

25. Tierrechte: Trotz Ihres jahrzehntelangen Kampfes gegen Windmühlen haben Sie nicht aufgegeben. Wenn Sie hier Ihre Vision für ein friedliches Zusammenleben von Mensch und Tier schildern könnten – wie sähe diese aus?

Hermann Focke: Die Tierschutzproblematik ist Teil eines gesamtgesellschaftlichen Dilemmas. Es ist nicht einmal mehr kurz vor zwölf, sondern bereits weit nach zwölf. In meiner Dokumentation „Die Natur schlägt zurück“ habe ich versucht, Wege aufzuzeichnen, die geeignet sind, diesem Dilemma zu begegnen. Es gibt keinen Erkenntnismangel, sondern es gibt ein gewaltiges Handlungsdefizit. Was die intensive Nutztierhaltung im engeren Sinne angeht können wir auf Grund der ständig steigenden Resistenzen bakterieller Infektionserreger einer drohenden Apokalypse für Mensch und Tier nur dann begegnen, wenn folgende Punkte sichergestellt sind:

1. Änderung der Zuchtziele und damit verbunden die Schaffung neuer Zuchtlinien. Weg von der Fokussierung auf übersteigerte unphysiologische Leistungsparameter und hin zu einer wesentlichen Verbesserung entscheidender Gesundheitsfaktoren.

2. Artgerechte Haltungsbedingungen. Das heißt vor allem: wesentlich kleinere Gruppengrößen und eine deutliche Reduzierung der Besatzdichten.

3. Antibiotikaeinsatz nur im Erkrankungsfall nach gehabter sorgfältiger Diagnose mit Erregercharakterisierung und dem sich danach ergebenden ausschließlichen Einsatz erregerspezifischer Medikamente.

Das Interview führte Christina Ledermann

Bei der Beantwortung der Fragen wurde Dr. Hermann Focke tatkräftig unterstützt von Mitgliedern des Vereins Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft e.V. Die hier organisierten Tierärztinnen und Tierärzte verbindet Verantwortungsbewusstsein und Empathie für unsere Mitgeschöpfe.

(1) Als Reserveantibiotikum werden Antibiotika bezeichnet, die nur eingesetzt werden sollen, wenn kein anderes Mittel wirksam ist. Wenn mehr Reserveantibiotika eingesetzt werden, führt dies dazu, dass ihre Wirkung bei der Behandlung von lebensbedrohlichen Infektionen geschwächt wird.
(2) Seit 2014 müssen landwirtschaftliche Betriebe, die Rinder, Schweine, Hühner oder Puten mästen, ab einer bestimmten Bestandsgröße halbjährlich Daten über ihren individuellen Einsatz von Antibiotika melden.