Der Tierarzt und Biologe Prof. Dr. Franz Paul Gruber kennt die Welt der Wissenschaft und das Konfliktfeld Tierversuch seit Jahrzenten. Seit 1982 beschäftigt er sich mit Alternativen zum Tierversuch. Seit Mitte der 1980er Jahre arbeitet er für die Zeitschrift ALTEX (1), die sich mit Alternativen zum Tierversuch beschäftigt, seit 23 Jahren ist er Chefredakteur. Seit 2005 ist Gruber Präsident der Doerenkamp-Zbinden-Stiftung (2), die mehrere Lehrstühle für Alternativmethoden finanziert.
Gruber ist Mitglied in mehreren Gremien, die sich mit der wissenschaftlichen Bewertung von Alternativmethoden befassen. Im Interview berichtet er von dem Schlüsselerlebnis, dass ihn dazu motivierte, sich der tierversuchsfreien Forschung zuzuwenden, von der Abkehr der US-Regierungsstellen vom Tierversuch und was passieren muss, um die Entwicklung tierversuchsfreier Verfahren zu beschleunigen.
1. Tierrechte: Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie dazu motivierte, sich für die Entwicklung von Ersatzverfahren zum Tierversuch einzusetzen, vielleicht aus Ihrer eigenen Studienzeit der Tiermedizin?
Es gab eigentlich nicht das eine Schlüsselerlebnis, es waren mehrere. Einmal spielte mein Wechsel von der FU Berlin an die Universität Konstanz eine große Rolle. Ich war als Leiter der dortigen Tierforschungsanlage plötzlich nicht mehr nur für mich verantwortlich, sondern für eine dem Tierschutzgesetz verpflichtete Durchführung aller dortigen Tierversuche. Das fordert und fördert eine ganz neue Sicht auf diese Versuche. 1982 führte ich dann an der Universität Konstanz eine erste Veranstaltungsreihe „Für und Wider den Tierversuch“ durch, mit recht renommierten Beteiligten, u.a. Prof. Dr. Gotthard M. Teutsch, Ursula M. Händel und Prof. Dr. Dieter Neubert.
Ein weiteres Schlüsselerlebnis war die Berufung in die Tierversuchskommission des Regierungspräsidiums Freiburg 1987. Dies erweiterte den Horizont über das, was an Universitäten so alles geforscht wurde, ganz gewaltig. Und viele der Anträge, die ich dann in den nächsten 28 Jahren zu lesen hatte, bestärkten meine Zweifel an der Rechtmäßigkeit auch der gesetzlich zu genehmigenden Versuche. Mir wurde mehr und mehr klar, dass es vielfach um das „Recht der Stärkeren“ auf Karriere ging und nicht um wirklichen Fortschritt.
Über Jahre hinweg wurden an der Universität Konstanz auch Versuche an Primaten durchgeführt. Ohne jetzt hier auf Einzelheiten einzugehen war es für mich ein wirkliches Schlüsselerlebnis, dass es mir gelingen konnte, die Genehmigung für diese Versuche widerrufen zu lassen. Die Versuche wurden eingestellt. Dem Experimentator konnte nachgewiesen werden, dass die Belastung für die Tiere sehr viel höher war, als im Antrag angegeben.
2. Tierrechte: Was waren (und sind noch heute) Ihre Beweggründe, sich für die Entwicklung von Ersatzverfahren zum Tierversuch einzusetzen?
Es wird vielfach argumentiert, ohne Tierversuche wären wir nicht auf dem hohen Niveau der Medizin, das wir heute in den „reichen“ Nationen“ haben. Einer Medizin, die sich außerhalb dieser Nationen niemand auf dieser Welt leisten kann. Spitzenforschung kann auch töten. Spitzenforschung tötet Menschen, wenn sie Geld verschlingt, das zur Rettung unzähliger Notleidender dringend benötigt würde, weil sie Mittel in einem nicht mehr zu verantwortenden Umfang verschlingt, Mittel, mit denen an anderer Stelle Millionen Menschenleben gerettet werden könnten, z.B. mit dem Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Auch wird nie ernsthaft hinterfragt, welchen Weg die medizinische Forschung eingeschlagen hätte, wenn man nicht Jahrzehnte auf klinisch kaum relevante und schlecht reproduzierbare Methoden wie den Tierversuch gesetzt hätte. Vielleicht wären wir ja ohne Tierversuche viel weiter als heute.
Es gibt viel Wissen, das man mit Tieren erarbeiten kann, wie z.B. physiologische Abläufe prinzipiell in einem Organismus ablaufen. Solches Wissen kann aber auch ohne Belastung der Tiere erarbeitet werden. Auch wenn mir klar ist, dass ich das Ende aller Tierversuche nicht mehr erleben werde, so möchte ich doch das Ende aller belastenden Tierversuche noch erleben.
3. Tierrechte: Die Tierversuchsgegner haben sich jahrelang für die Abschaffung aller belastenden Tierversuche stark gemacht. Trotzdem gibt es sie noch immer. Was wäre Ihrer Überzeugung nach der nächste Schritt, um dieses Ziel zu erreichen? Wie könnten sich die Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen besser einbringen?
Die Lobbyarbeit in Berlin, Brüssel und Straßburg müsste intensiviert werden. Wie wir bei der Entstehung der neuen EU Direktive 2010/63/EU zum Schutz der Versuchstiere gesehen haben, waren die Lobbyvertreter der Wissenschaftsverbände und der Industrie in Straßburg eindeutig in der Mehrheit.
4. Tierrechte: Wie kam es dazu, dass Sie sich in der Doerenkamp-Zbinden-Stiftung engagiert haben?
Die Frage ist schnell beantwortet: Frau Doerenkamp rief mich 2004, kurz nachdem ich den Doerenkamp-Zbinden Preis für mein Lebenswerk erhalten hatte, an und fragte, ob ich Präsident „Ihrer“ Stiftung werden möchte. Nach der damaligen Stiftungsurkunde hatte sie das Recht dazu, Stiftungsräte und Präsidenten einzusetzen. Ich fragte Sie zurück, ob ich ihr Unterlagen über mich schicken soll, Ihre Antwort war: „Das müssen Sie nicht, ich habe jede Zeile gelesen, die sie je in ihrem Leben zum Thema Tierversuch geschrieben haben.“
5. Tierrechte: Welchen Ansatz zur Beendigung von Tierversuchen halten Sie für wirksam und warum?
Die Einforderung ethischen Handelns nützt nichts. Darunter wird weltweit, gerade wenn es um unser Handeln Tieren gegenüber geht, sehr unterschiedliches verstanden. Der einzige Weg, der überall akzeptiert wird, ist es, Tierversuche zu „devalidieren“, also aufzuzeigen, dass die Ergebnisse keinen medizinischen Fortschritt bringen. Auf diesem Gebiet laufen gerade sehr viele Untersuchungen, die es langsam verständlich werden lassen, warum so viele Medikamente Schaden anrichten und wieder vom Markt genommen werden müssen.
6. Tierrechte: Was ist daran das Innovative?
Neu daran ist, dass nicht wie früher, aus einem Bauchgefühl heraus, die Ergebnisse von Tierversuchen angezweifelt werden, sondern dass hochkarätige Wissenschaftler/innen sich dieses Themas angenommen haben. Die Diskussion hat ein hohes wissenschaftliches Niveau erreicht, dem sich Forschende nicht mehr entziehen können.
7. Tierrechte: Tierversuche zu devalidieren ist der (sehr wichtige) wissenschaftliche Ansatz. Was müsste passieren, damit mehr solche Untersuchungen durchgeführt werden?
Da fehlen schlicht die Forschungsmittel. Deutschland ist zwar führend in Europa, was die Förderung von Alternativmethoden anbelangt, aber das „Devalidieren“ von Tierversuchsergebnissen zählt leider nicht zu den Alternativmethoden.
8. Tierrechte: Sie haben die Entwicklung der neuen Methoden über viele Jahre u.a. mit Fördermaßnahmen und dem Magazin ALTEX begleitet. Rückblickend gesehen: Wie würden Sie die Entwicklung einschätzen? War sie zu langsam, hätte sie besser laufen können?
1986 schrieb ich mein erstes Editorial für ALTEX. Viele folgten. 32 Jahrgänge ist ALTEX nun alt und vielen Tierschützern geht alles viel zu langsam. Auf Alternativmethoden zu setzen ist mit Geduld und einer gehörigen Portion Frustresistenz verbunden. Wer schnelle Erfolge vorantreiben will, wird enttäuscht sein. Unter den gegebenen Umständen, der enormen und größtenteils mit Steuergeldern finanzierten Lobbyarbeit von Forschungsgesellschaften zum Abbremsen der Bemühungen zum Ersatz von Tierversuchen, haben wir einen guten Fortschritt erreicht. Erst seitdem die Europäische Forschungsgesellschaft alle Mitgliedsländer aufgefordert hat, die 3R Methoden zu unterstützen, tut sich auch in Deutschland ein wenig mehr. Aber wir sollen nicht mit Fingern auf die deutsche Forschungspolitik zeigen, in Deutschland werden in großem Umfang Alternativen gefördert, auch durch die Bundesregierung und vermehrt auch durch einzelne Bundesländer. Aber es ist trotzdem immer noch zu wenig. Wir sollten aber auch anerkennen, dass sich die Industrie an der Förderung von Alternativmethoden beteiligt.
9. Tierrechte: Wie könnte in Wissenschaftskreisen – insbesondere in der Grundlagenforschung – die „Lust“ auf tierversuchsfreie Forschung geweckt werden? Wer könnte wie dazu beitragen?
Bei der von Industriegeldern getragenen Stiftung zum Ersatz von Tierversuchen „set“ (www.stiftung-set.de) wurden alleine in diesem Jahr 30 Anträge auf Förderung von Alternativen gestellt. Nur drei können vielleicht gefördert werden. Die „Lust“ auf tierversuchsfreie Forschung ist also schon da, es gibt nur nicht genügend Fördermittel. Wie das Verhältnis von Anträgen zu geförderten Projekten beim BMBF Förderschwerpunkt „Ersatzmethoden zum Tierversuch“ zur Zeit ist, weiß ich nicht, das Verhältnis dürfte aber nicht viel anders sein.
10. Tierrechte: Welche Fehler der Vergangenheit sollten heute nicht mehr gemacht werden?
Die Auseinandersetzung um das „Für und Wider zum Tierversuch“ darf nicht mit persönlichen Angriffen verbunden werden. Es ist ein absolutes „NoGo“, Experimentatoren bloßzustellen, ihre Adressen ins Internet zu setzen oder ihnen mitzuteilen, dass man den Schulweg ihrer Kinder sehr genau kenne. Das ist dumm und widerlich. Und schadet der guten Sache.
11. Tierrechte: Welche Zukunftsperspektiven sehen Sie für die neuen tierversuchsfreien Methoden und die Beendigung des Tierversuchs? Wird sich in absehbarer Zeit für die Tiere etwas zum Besseren verändern?
Die Zukunftsperspektiven sind gut. Ich sehe allmählich Früchte unserer Arbeit, die wir uns so vor dreißig Jahren kaum zu erhoffen wagten. Dass nun sogar in den USA Regierungsstellen die Abkehr vom Tierversuch verlangen ist sensationell. Fortschritte bei den Sicherheitsprüfungen wird es viele geben in den nächsten Jahren. Sorge macht mir die Grundlagenforschung. Offenbar nützt es immer noch der wissenschaftlichen Karriere, gentechnisch veränderte Mäuse in die Welt zu setzen, das gibt noch viele Promotionen und Habilitationen. Die Karrieren müssen anders eingepflegt werde.
12. Tierrechte: Was muss insgesamt passieren, um hier einen Paradigmenwechsel im Sinne der Tiere zu erreichen?
Ich denke, dass der Paradigmenwechsel schon erfolgt ist, es geht nur so langsam voran, dass es ein Außenstehender kaum so richtig bemerkt.
13. Tierrechte: Wie könnte die Entwicklung beschleunigt werden?
Eigentlich müsste es an jeder Universität, an der tierexperimentell geforscht wird, auch Lehrstühle geben, die sich ausschließlich mit der Erforschung von Alternativmethoden. Die Doerenkamp-Zbinden Stiftung (www.doerenkamp.ch) hat in den letzten 10 Jahren 20 Millionen CHF für die Lehrstühle in Baltimore, Genf, Konstanz, Tiruchirappalli (Indien) und Utrecht ausgegeben. Dies sollte viel mehr Nachahmer finden.
14. Tierrechte: Was würden Sie angehenden Studenten, z.B. der Tiermedizin, mit auf den Weg geben wollen?
Informiert euch über die Publikationen, in denen Tierversuche „devalidiert“ werden. Widersprecht euren Dozenten sofort, wenn diese Tierversuche als unverzichtbar darstellen. Argumentiert nicht emotionell, sondern auf wissenschaftlich fundierter Basis. Es wäre auch zu begrüßen, wenn sich mehr Studierende mit Alternativmethoden beschäftigen würden. Gerade einmal vier Studiabos hat die Zeitschrift ALTEX in Europa.
(1) ALTEX „Alternativen zu Tierexperimenten“, www.altex-edition.org
Das Magazin veröffentlicht Artikel über Forschung und Entwicklung von Alternativen zu Tierversuchen im Sinne des 3R-Konzepts von Russel und Burch (Replace, Reduce, Refine of Animal Experiments). Sämtliche Artikel sind online kostenfrei verfügbar. Das Magazin ist neben dem Journal ATLA (Alternatives to Laboratory Animals) weltweit das Einzige zu diesem Thema und hat sich auf einen Impactfaktor von 5.824 vorgearbeitet. (Der Impactfaktor wird von Thompson Reuters erstellt und ist ein Ranking darüber, wie häufig Artikel aus einem Magazin in anderen Publikationen zitiert werden. Damit ist eine Bewertung, welche Stellenwert ein Magazin hat. Wissenschaftler wollen in der Regel in einem Magazin publizieren, das einen hohen Impactfaktor hat).
(2) Doerenkamp-Zbinden-Stiftung Die Doerenkamp-Zbinden Stiftung (www.doerenkamp.ch) hat in den letzten 10 Jahren 20 Millionen Schweizer Franken für die Lehrstühle in Baltimore, Genf, Konstanz, Tiruchirappalli (Indien) und Utrecht ausgegeben. Dies sollte nach Ansicht von Prof. Gruber viel mehr Nachahmer finden.
Prof. Dr. Franz Paul Gruber studierte in München Biologie, Chemie und Tiermedizin. Nach seiner Promotion zum Dr. med. vet. arbeitete er bis 1969 als praktischer Tierarzt in Oberbayern. Danach wechselte er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistenzprofessor an der Freien Universität Berlin zum Institut für Versuchstierkunde. Dort absolvierte er 1974 die Fachtierarztprüfung und wurde 1977 habilitiert. Von dort führte ihn sein Weg an die Universität Konstanz, wo er mit der Planung und Ausführung der Tierforschungsanlage betraut war, die er bis 1993 leitete. Seit 1987 arbeitete er als Tierschutzbeauftragter und gehört bis heute der Tierversuchskommission des Regierungspräsidiums Freiburg an.
Das Interview führte Dr. Christiane Hohensee.
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