Dr. Janine Binngießer promovierte an der Universität Leipzig über das Thema: „Empirische Studien zur Tierschutzerziehung im Biologieunterricht der Sekundarstufe I und II“. Die Mutter von zwei Kindern unterrichtet Biologie und Deutsch an einem Gymnasium und engagiert sich für die Etablierung der Tierschutzerziehung an Schulen.
Tierrechte: Wie sind Sie auf das Thema „Tierschutzerziehung im Biologieunterricht“ für Ihre Doktorarbeit gekommen?
Dr. Janine Binngießer: Ich wollte mich nach meinem Studium gerne intensiver mit einem für den Biologieunterricht relevanten Thema beschäftigen. Da mir Tierschutz persönlich schon immer sehr am Herzen liegt, war die Idee zu meinem Promotionsthema schnell geboren.
Tierrechte: Können Sie uns kurz die wichtigsten Erkenntnisse Ihrer Forschungsergebnisse vorstellen?
Dr. Janine Binngießer: Die Umsetzung des Tierschutzgedankens im Biologieunterricht hängt von der Lehrerpersönlichkeit, den Einstellungen der Schüler gegenüber Tieren sowie der Gestaltung der verwendeten Lehrbücher ab. In meiner Arbeit habe ich deshalb unter Berücksichtigung dieser Faktoren analysiert, welchen Stellenwert Tierschutz im Biologieunterricht der Sekundarstufe I und II hat. So konnte ich nachweisen, welche Faktoren die Einstellungen von Kindern und Jugendlichen gegenüber Tieren bestimmen. Außerdem konnte ich belegen, dass Tierschutz sowohl in der Aus- und Fortbildung als auch in der unterrichtlichen Praxis von Biologielehrern kaum eine Rolle spielt. Auch die Gestaltung der Biologielehrbücher ist nur wenig geeignet, den Tierschutzgedanken stärker in den Biologieunterricht einzubauen.
Tierrechte: In Ihrer Doktorarbeit und in Ihrer gemeinsam mit Prof. Randler (Pädagogische Hochschule Heidelberg) durchgeführten Studie konnten Sie aufzeigen, dass Tierschutz in der Biologielehrerausbildung eine eher untergeordnete Rolle spielt. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?
Dr. Janine Binngießer: Tierschutzaspekte sollten in der Ausbildung der Biologielehrer unbedingt thematisiert werden. Meine Untersuchung zeigt, dass Biologielehramtsstudenten einerseits teils gravierende Wissenslücken zu tierschutzrelevanten Themen haben, andererseits aber stark am Thema interessiert sind. Wenn man Studenten schon während des Studiums für das Thema sensibilisiert, könnten bestehende fachliche Wissensdefizite kompensiert werden und die Studenten könnten gleichzeitig fachdidaktische Kenntnisse erwerben, wie Tierschutzthemen im Unterricht vermittelt werden könnten.
Tierrechte: Sie unterrichten Biologie an einem Gymnasium in Leipzig. Wie wird die Tierschutzerziehung an Ihrer Schule umgesetzt?
Dr. Janine Binngießer: Tierschutzthemen spielen im sächsischen Lehrplan für Biologie an Gymnasien eine sehr untergeordnete Rolle. Lediglich in Klasse 5 ist das Thema „artgerechte Tierhaltung“ als Wahlpflichtthema mit nur vier Unterrichtsstunden im Jahr möglich. Dies allerdings nicht verpflichtend, denn für die Lehrer stehen auch zwei andere mögliche Themen am Ende des Schuljahres zur Wahl. Diese wenigen zur Verfügung stehenden Stunden, die der Komplexität der Thematik kaum gerecht werden, sowie der freiwillige Charakter von Tierschutzstunden sind übrigens typisch auch für die Lehrpläne der meisten anderen Bundesländer. Somit bleibt Tierschutzerziehung ein sehr unterrepräsentiertes Thema und es entscheidet in der Regel der persönliche Einsatz des Fachlehrers darüber, ob das Thema intensiver behandelt wird.
Tierrechte: Wie reagieren die Eltern, wenn Sie deren Kinder z.B. mit dem Leid der sogenannten Nutztiere konfrontieren?
Dr. Janine Binngießer: Nach meiner Erfahrung gibt es wenige Probleme, wenn man das Thema sachlich-informativ und vor allem altersgerecht unterrichtet und auf allzu verstörende und abschreckende Bilder gerade in jüngeren Klassen verzichtet. In meinem eigenen Unterricht ist mir wichtig, den Schülern fachlich fundiertes Wissen über verschiedene Tierschutzthemen zu vermitteln, damit sie die Tierschutzproblematik sachlich diskutieren und Konsequenzen für den eigenen verantwortungsvollen Umgang mit Tieren ableiten können. Dabei kann es mitunter passieren, dass Eltern sich beschweren, ihr Kind verweigere seit kurzem Fleisch und hinterfrage plötzlich das Ernährungsverhalten in der Familie. Geht es um die Gestaltung der eigenen Lebensentwürfe, fühlen sich manche Eltern mitunter in eine Verteidigungsposition gedrängt, zumal Tierschutzthemen generell sehr kontrovers und emotional diskutiert werden. Solche Fälle kommen aber sehr selten vor und lassen sich meist leicht lösen, wenn man die Eltern beruhigt, dass es nicht um eine Radikalisierung ihrer Kinder, sondern um sachliche Informationen geht.
Tierrechte: Welche Maßnahmen halten Sie, ausgehend von Ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen, für realisierbar, um die Tierschutzerziehung fest in den Stundenplänen zu verankern?
Dr. Janine Binngießer: Das Thema sollte natürlich in allererster Linie verpflichtend und mit ausreichend Stunden in den Lehrplänen berücksichtigt werden. Hier müssen die Kultusministerien ansetzen. Die von mir befragten Lehrer gaben an, sich zwar generell dafür zu interessieren und es gern intensiver behandeln zu wollen, dafür aber aufgrund der vollen Lehrpläne im Schulalltag einfach keine Zeit zu haben. Auch gibt es heute viele andere Themen, für die eine stärkere Einbindung in die Lehrpläne gefordert wird, z. B. Fragen der gesunden Ernährung, der Umgang mit neuen Medien oder Mobbing. Erfahrungsgemäß wird Tierschutzerziehung da leider meist als weniger wichtig angesehen.
Tierrechte: Halten Sie das Konzept externe Tierschutzlehrer in die Schulen zu schicken für zielführend?
Dr. Janine Binngießer: Externe Tierschutzlehrer können eine Bereicherung für den Unterricht darstellen. Allerdings werden sie in der Regel sowieso von Lehrern eingeladen, die Tierschutzthemen gegenüber eher aufgeschlossen sind. Um aber alle Schüler zu erreichen, reichen externe Tierschutzlehrer nicht aus. Ohne die Fachlehrer vor Ort in der Schule, die das Thema in ihrem Unterricht behandeln, kann man die breite Masse der Schüler nicht erreichen.
Tierrechte: Mittlerweile besteht ein gesellschaftlicher Konsens über die Bedeutung von emotionaler Erziehung in Schule und Gesellschaft. Welchen Beitrag kann Ihrer Meinung nach die Tierschutzerziehung hier leisten?
Dr. Janine Binngießer: Wenn man Kindern Freundlichkeit gegenüber Tieren lehrt, führt dies zu tierbezogener Empathie, welche auf menschenbezogene Empathie verallgemeinert werden und damit zu einer Verringerung von aggressivem Verhalten führen kann. Dies wurde durch internationale Studien bestätigt. Tierschutzerziehung begünstigt also die Ausprägung von Mitgefühl und Verantwortung bei Kindern und Jugendlichen und kann somit einen wichtigen Beitrag zur emotionalen Erziehung in der Schule leisten.
Tierrechte: Was ist Ihnen persönlich besonders wichtig im Hinblick auf die Tierschutzerziehung im Biologieunterricht?
Dr. Janine Binngießer: Ich würde mir wirklich wünschen, dass dem Thema im Schulalltag der Stellenwert eingeräumt wird, den es verdient. Nur so kann man Schülern Wissen über artgerechte Tierhaltung vermitteln und gegebenenfalls Vorurteile und Unwissen auf Seiten der Schüler abbauen, was im Hinblick auf die Millionen Nutztiere und Haustiere in Deutschland direkt praktizierter Tierschutz ist. Dies ist aber nur möglich über verschiedene Maßnahmen wie z.B. die stärkere Einbindung in die Lehrpläne, die intensivere Aus- und Fortbildung der Lehrer, die angemessene Verankerung in den Schulbüchern.
Tierrechte: Wie sehen Sie generell die Chancen, den Tierschutz verbindlich in die Lehrpläne des Biologieunterrichts aufzunehmen? Was müsste sich Ihrer Meinung in Deutschland ändern?
Dr. Janine Binngießer: In den letzten Jahren hat sich in Sachen Tierschutz viel getan und das Thema ist vermehrt in der Öffentlichkeit angekommen. So ist z.B. die vegane Ernährungsweise mittlerweile fast ein Trend geworden. Vielleicht findet auch bei der Tierschutzerziehung so ein Umdenken statt, die Verantwortlichen erkennen das Potential und das Thema rückt dadurch mehr in den Fokus. Ich würde mir das sehr wünschen.
Tierrechte: Was können Tierrechtsorganisationen wie Menschen für Tierrechte tun, um diese Entwicklung voranzutreiben?
Dr. Janine Binngießer: Tierschutz muss in der Mitte der Gesellschaft ankommen, weil es uns alle angeht. Tierrechtsorganisationen können da einen großen Beitrag leisten, indem sie informieren und aufklären. Und sie können versuchen, auf politischer Ebene Einfluss zu nehmen, da sich ohne die angesprochenen Änderungen auf Schulebene wohl wenig ändern wird.
Die Fragen stellte Steffanie Richter