Der Bundesverband ist seit seiner Gründung 1982 ein wichtiger Teil der Tierrechtsbewegung in Deutschland. Wir wollen den Versuch wagen, einen kurzen historischen Überblick über die Entwicklung der Tierschutz- und Tierrechtsbewegung, die geistigen Hintergründe und fundamentalen Unterschiede zu geben.
Tierschutz- und Tierrechtsbewegung wird oft vereinfachend gleichgesetzt. Dabei unterscheiden sich die Ansätze dieser Gruppen in vielen Punkten so grundlegend, dass hier sogar von eigenständigen sozialen Bewegungen gesprochen wird. Gemein ist Tierschützern und Tierrechtlern „unnötiges Leiden“ von Tieren verhindern zu wollen. Die Abwägung, was „unnötig“ ist, fällt allerdings sehr unterschiedlich aus. Der traditionelle Tierschutz will die Bedingungen der Tiernutzung so gestalten, dass Leid minimiert wird, stellt aber die Legitimität der Herrschaft vom Menschen über das Tier nicht grundsätzlich in Frage. Ganz anders ist die Argumentation der Tierrechtsbewegung. Hier basiert die Grundidee darauf, dass Tiere – wie Menschen – fundamentale Rechte haben. Sie werden unabhängig von ihrem Nutzen als Individuen mit eigenen Interessen betrachtet. Dies schließt ihre Nutzung bzw. Ausnutzung automatisch aus. Trotz dieser fundamentalen Unterschiede ist die Entwicklung der beiden Bewegungen historisch eng verknüpft.
Aristoteles: Ausbeutung moralisch geboten
Bevor der organisierte Tierschutz im frühen 19. Jahrhundert entstand, war das christliche Denken von einer strengen Wertehierarchie beherrscht, in der sich der Wert eines Lebewesens an seiner Vernunft orientierte. Nach dieser von Aristoteles geprägten Vorstellung war der Mann mehr wert als die Frau, der Grieche mehr wert als ein Sklave und dieser stand letztlich über dem Tier. Das minderwertige Lebewesen sollte dem höherwertigem dienen. Ausbeutung, Unterdrückung und Kolonisierung wurden sogar als moralisch und zivilisatorisch geboten betrachtet. Die christliche Tradition übernahm dieses Denken, das durch das Mittelalter bis in die Renaissance fortbestand; mit Ausnahme von Persönlichkeiten wie Leonardo da Vinci, Thomas More, Erasmus von Rotterdam, Michel de Montaigne oder Isaac Newton. Die völlige Abgrenzung zwischen Mensch und Tier wird besonders deutlich bei dem französischen Naturwissenschaftler Rene Descartes. Er sprach den Tieren nicht nur die Seele ab, sondern auch die Leidensfähigkeit. Tiere waren nach seiner mechanistischen Naturauffassung nichts anderes als gefühllose Maschinen, an denen man bedenkenlos forschen konnte.
Mit der Aufklärung kommt der Wandel
Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts, mit Beginn der Aufklärung, zeichnete sich ein Wandel in diesem jahrhundertelang vorherrschenden Denken ab. Der Philosoph und Sozialreformer Jeremy Bentham schrieb 1789 in seiner „Introduction to the Principles of Morals and Legislation“, dass der Tag wird kommen werde, an dem die Tiere ebenfalls die Rechte bekommen würden, die ihnen nur durch tyrannische Unterdrückung vorenthalten wurden. Nach seiner Auffassung kam es nicht darauf an, ob ein Lebewesen denken oder sprechen kann, sondern ob es leiden kann.
Dem folgten weitere Schriften, bis die Gelehrten und Schriftstellen Thomas Young und John Lawrence 1798 unabhängig voneinander als erste die Formulierung „Rechte der Tiere“ einführten. Diesen Schriften und Ideen folgten die ersten Versuche, den Schutz der Tiere gesetzlich zu regeln. 1822 wurde mit dem „Act for the Prevention of Cruel and Improper Treatment of Cattle“ das weltweit erste Tierschutzgesetz vom britischen Parlament verabschiedet. Es verbot die absichtliche öffentliche Misshandlung von Pferden, Eseln, Schafen und Rindern. 13 Jahre später wurde der Stierkampf in England verboten. In den Folgejahren wurden auch in anderen Ländern und Städten erste Gesetze zum Schutz bestimmter Tiere erlassen: USA (1829), Schweiz und Norwegen (1842), Schweden und Dänemark (1857), Sachsen (1830), Württemberg (1839) Hannover (1847) und Österreich (1846).
Die ersten Tierschutzvereine entstehen
Zeitgleich gründeten sich Gruppen wie die Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals (RSPCA, 1824) und die Vegetarian Society (1847). Danach bildeten sich weitere Tierschutzvereine auch außerhalb von Großbritannien. Inspiriert durch die Briten gründete der Pfarrer Albert Knapp 1837 in Stuttgart den ersten deutschen Tierschutzverein, den Vaterländischen Verein zur Verhütung von Tierquälerei. Weitere entstanden z. B. in Dresden, Berlin, München, Paris, Wien und New York. Die deutschen Tierschutzgruppen wuchsen rasch und waren schon bald die Mitglieder-stärksten in Europa.
Massendemonstrationen und Straßenkämpfe
Die ersten Tierschutzaktivisten der RSPCA engagierten sich oft auch gleichzeitig für den Schutz von Kindern und sozial Schwachen oder gegen Sklaverei und Todesstrafe. Neben Sozialisten waren es oft auch Feministinnen wie Frances Cobbe, Louise Lind-af-Hageby oder Charlotte Despard, die gegen Tierausbeutung und vor allem gegen Tierversuche kämpften. Die Anti-Tierversuchsbewegung organisierte zwischen 1906 und 1912 Massendemonstrationen in London, in deren Folge es 1907 zu den „Old Brown Dog Riots“ kam, als Gewerkschafter, Feministinnen und Tierversuchsgegner mit Ärzten und Medizinstudenten wegen Tierversuchen in regelrechten Straßenkämpfen zusammenstießen.
Trennung von Tierschutz- und Tierrechtsbewegung
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann sich die Bewegung in bürgerlichen Tierschutz und radikalen Antivivisektionismus zu spalten. Denn die aufkommenden Forderungen nach einer grundsätzlichen Ablehnung der Tiernutzung trennten die neuen Vereinigungen von den Vorstellungen der anthropozentrisch geprägten Tierschutzvereine. Die erste Tierrechts- organisation, die Humanitarian League, wurde 1891 von dem englischen Humanisten und Reformer Henry Stephens Salt gegründet. Ihr folgte 1907 mit dem Bund für radikale Ethik die erste Tierrechtsgruppierung in Deutschland. Salts Buch „Animals‘ Rights Considered in Relation to Social Progress“, das bereits alle Forderungen der heutigen Tierethik enthielt, wird vielfach als der Beginn der eigentlichen Tierrechtsbewegung gesehen. Die Humanitarian League engagierte sich nicht nur für Tierrechte, sondern kämpfte u.a. auch gegen Krieg, Kolonialismus und Ausbeutung der Arbeiter. Darüber hinaus organisierte sie Treffen in vegetarischen Restaurants, bei denen auch prominente Gäste wie Mahatma Gandhi und George Bernhard Shaw von der Notwendigkeit des Tierrechtsgedankens überzeugt wurden.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen sich die Tierschutzvereine zu organisieren, Lobbyarbeit zu betreiben und auf internationaler Ebene nach Lösungen für grenzüberschreitende Tierschutzprobleme wie beispielsweise Tiertransporte zu suchen. Der Zweite Weltkrieg warf die Bewegung allerdings in ihrer Entwicklung zurück, denn in Relation zu dem Gräuel des Krieges traten die Interessen der Tiere in den Hintergrund. Im nationalsozialistischen Deutschland wurde 1933 zwar ein Tierschutzgesetz verabschiedet, vielen Regelungen lagen aber antisemitische Motive zugrunde.
Neue Dynamik in den 70ern
Erst in den 1960er Jahren begannen sich die Bewegungen neu zu formieren. Das Buch „Animal Machines“ von Ruth Harrison verurteilte 1964 erstmals die tierquälerischen Intensivtierhaltung. 1963 gründete der britische Journalist John Prestige die englische Hunt Saboteurs Association, die bis heute Jagdsabotagen organisiert. Der britische Psychologe Richard D. Ryder, ein Pionier der modernen Tierbefreiungsbewegung, prägt 1970 den Begriff „Speziesismus“, der einen aus dem Anthropozentrismus (griech. anthropos: Mensch) abgeleiteten Artegoismus beschreibt. Beim Speziesismus wird ein Individuum aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Tierart benachteiligt. Er wird analog zum Rassismus oder Sexismus gesehen. In den 70er Jahren entstanden auch in Deutschland zahlreiche neue Vereine als Gegengewicht zum Deutschen Tierschutzbund. Der Bundesverband der Tierversuchsgegner, die erste bundesweit operierende Antivivisektionsorganisation, gründete sich 1982. In den Folgejahren erweiterte sich das Themenspektrum der Vereine.
Begünder der modernen Tierethik: die Oxford Group
Eine entscheidende Etappe in der intellektuellen Entwicklung des Tierrechtsphilosophie war das Buch „Animals, Men and Morals“ (1973), eine Zusammenstellung von Texten und Artikeln zum Thema, das heute als Manifest der Tierbefreiungsbewegung gilt. Zur gleichen Zeit gründete sich im englischen Oxford die Oxford group, aus der die Begründer der modernen Tierethik hervorgingen. Die Bücher des Australiers Peter Singer „Animal Liberation“ (1975) und des US-Amerikaners Tom Regan „The Case for Animal Rights“ (1983) werden heute als Standardwerke der Tierrechtsliteratur betrachtet.
Radikalisierung in den 70er Jahren
In den 70er Jahren kommt es in England – durch ausbleibende Erfolge und die rasante Entwicklung der Intensivtierhaltung – zu einer Radikalisierung der Tierrechtsbewegung. 1972 gründet sich die militante Band of Mercy, die innerhalb von zwei Jahren acht Anschläge auf Tierversuchslabore, Jagdausstatter und Tiertransporter verübte. Aus ihr geht 1976 die Animal Liberation Front (ALF) hervor, deren erklärtes Ziel die „Befreiung der Tiere von menschlicher Herrschaft“ mittels Sabotageakten ist. Dies umfasste Tierbefreiungsaktionen, Besetzungen sowie Brand- und Farbanschläge. Auch in Deutschland formierten sich vergleichbare Gruppierungen. Ein Ableger der ALF befreite z. B. 1981 spektakulär 48 Hunde aus einer Zuchtanlage für „Versuchtiere“ in Mienenbüttel bei Hamburg.‘
Effektiv: der Campaigning-Ansatz
In den 80er und 90er Jahren gründen sich überall neue Tierrechtsgruppen wie Animal Peace, der Bundesverband der TierbefreierInnen und zahlreiche „Antispeziesismus-Gruppen“. Die Organisation People for the Ethical Treatment of Animals (PETA), die sich 1980 in den USA gegründet hatte, wurde ab 1994 auch in Deutschland aktiv und sorgte durch neuartige Marketingstrategien mit Prominenten, Modells und Holocaust-Vergleichen für Diskussionen.
Im 21. Jahrhundert setzt sich zunehmend der Campaigning-Ansatz durch. Dabei fokussieren sich zeitlich begrenzte Aktionen auf ein bestimmtes Unternehmen und dessen Tiermissbrauch. Die Kampagne „Stop Huntington Animal Cruelty“ gegen das englische Tierversuchslabor Huntington Life Science ist ein bekanntes Beispiel. In Deutschland arbeitet die Gruppe Offensive gegen die Pelzindustrie nach dieser Strategie – mit Erfolg. Mit regelmäßigen Aktionen vor den Filialen konnte sie erreichen, dass der Modekonzern Escada, Karstadt-Quelle, Kaufhof, Peek & Cloppenburg und C&A aus dem Handel mit Pelzprodukten ausstiegen.
Heute ist die Tierrechtsbewegung eine facettenreiche soziale Bewegung mit vielfältigen Aktionsformen geworden. Sie hat es – zusammen mit der Tierschutzbewegung – erreicht, einen Bewusstseinswandel im Umgang mit dem Tier anzustoßen. Die Art wie mit Tieren umgegangen wird, wird zunehmend kritisch hinterfragt, was sich auch daran zeigt, dass beispielsweise die tierquälerische Intensivtierhaltung mittlerweile ein Akzeptanzproblem hat. Es gibt heute einen eindeutigen Trend zur vegetarischen und veganen Lebensweise. Das Mensch-Tier-Verhältnis wird nicht nur im Kontext der Bioethik diskutiert, die „Human-Animal Studies“ konnten sich sogar als anerkannte universitäre Disziplin etablieren, mit einer wahren Flut von wissenschaftlichen Publikationen zum Thema.
Verschiedene Ansätze: Reform oder Abschaffung
Trotz dieser Erfolge hat sich am tatsächlichen Leid der Tiere wenig geändert. Die (Aus-)Nutzung der Tiere wurde in speziellen Aufzucht-, Mast- und Schlachtbetrieben weiter perfektioniert, die unsere Mitgeschöpfe zu Zahlen in einem auf Profit ausgerichteten industriellen Produktionsprozess machen. Die Vorstellungen, wie mit der millionenfachen Ausbeutung unserer Mitgeschöpfe umzugehen ist, gehen – wie eingangs bereits erwähnt – in der Tierschutz- und Tierrechtrechtsbewegung weit auseinander. Ein Ansatz versucht über Reformen, Anhebung der Tierschutzstandards und Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung die Situation der Tiere kontinuierlich zu verbessern. Dagegen argumentiert der US-amerikanische Tierrechtler Gary L. Francione nach dem sogenannten abolitionistischen Ansatz, wonach Erfolge in der Tierschutzgesetzgebung sogar zur Ausbeutung der Tiere beitragen, da sie das System als solches legitimieren und zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz der herrschenden Zustände beitragen. Dies behindert seiner Meinung nach konsequentere Schritte zu einer tatsächlichen Realisierung von Tierrechten. Eine andere Herangehensweise ist, dass sich Tierschutz- und Tierrechtstrategien nicht notwendigerweise ausschließen müssen. Für den österreichischen Autoren und Philosophen Helmut F. Kaplan ist die angemessene Antwort auf die Ausbeutung der Tiere nicht die Frage nach Reform oder Abschaffung, sondern beides: Reform und Abschaffung. Die Bewegung müsse alle Möglichkeiten nutzen, um die Leiden kurzfristig zu verringern und langfristig zu beenden.