In Köln hat laut Presseberichten (1) im Juni 2023 ein zweijähriges Pilotprojekt zur Verfütterung von Ovistop an Stadttauben begonnen. Auch andere Kommunen erwägen den Einsatz der Taubenpille. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte rät dringend davon ab. Er bewertet den Einsatz des Präparates als tierschutzwidrig. Der Wirkstoff Nicarbazin ist als dauerhaftes Verhütungsmittel für Tauben nicht erforscht. Es wird von lebensbedrohlichen Nebenwirkungen berichtet. Wirkung und Aufnahme des Präparats kann bei freilebenden Tieren nicht kontrolliert und die Tiere nicht behandelt werden. Außerdem ist die Wirksamkeit des teuren Präparates zweifelhaft.
Die Taubenpille Ovistop wird von einer in Köln ansässigen Tierärztin vertrieben. Auf der Website TKK-Stadttauben wird der mit dem Wirkstoff Nicarbazin beschichtete Futtermais als Gesamtlösung zur tierschutzkonformen Kontrolle von Stadttauben bezeichnet. Diese treffen bei Behörden als auch bei Tierschutzvereinen gleichermaßen auf großen Zuspruch. Doch dies ist eine einseitige Darstellung. Nach Bekanntwerden des Pilotprojekts holten wir die Meinungen mehrerer Expert:innen ein. Danach ist die Studienlage unzureichend. Die Verträglichkeit für die Tauben und andere Arten ist zweifelhaft, ebenso wie die Wirksamkeit.
Nebeneffekt temporäre Unfruchtbarkeit
Nicarbazin wird seit den 1950er Jahren weltweit zur Bekämpfung der Kokzidiose, einer parasitären Darmerkrankung, eingesetzt. Dabei hat sich herausgestellt, dass das Tierarzneimittel als Nebeneffekt zu einer temporäreren Unfruchtbarkeit (2) führt. Nicarbazin ist als Kokzidiostatikum für zur Lebensmittelerzeugung genutzte Tiere zugelassen sowie als Verhütungsmittel in den USA, der EU und Japan. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Nicarbazin in realistischen Mengen ungiftig und sicher für Mensch, Tier und Umwelt ist (2) . Die Untersuchungen der Nebenwirkungen beruhen jedoch auf dem Einsatz als Kokzidiostatikums bei „Mastgeflügel“ und damit auf einer kurzen Lebens- bzw. Behandlungszeit (Masthähnchen leben nur 28-42 Tage). Bei starker Überdosierung im Futter treten jedoch schwere Atemnot mit hoher Körpertemperatur auf, und es kommt zu Todesfällen durch Hyperthermie (5).
Unerwünschte Nebenwirkungen bei Hühnern
Laut Informationen der Universität Zürich (3) wurden bei Hühnern folgende Nebenwirkungen beschrieben:
– verminderte Legerate
– dosisabhängige Pigmentierung des Dotters und degenerative Veränderungen der äußeren Dotterhaut, Schalenveränderungen
– Leberverfettung
– Erhöhung der Stoffwechselrate und der Temperaturempfindlichkeit (Die Temperaturanfälligkeit kann durch die Kombination mit Narasin gesenkt und die Mortalität um 10 – 20% vermindert werden)
– vermindertes Wachstum und reduzierte Futter- und Wasseraufnahme
Tauben: Nebenwirkungen nicht untersucht
Diese Effekte sind aus dem Einsatz in der Geflügelmast bekannt, wurden also nicht in Langzeitstudien an Tauben untersucht. Zudem ist die langfristige Wirksamkeit fraglich, denn Nicarbazin wirkt nur dann sterilisierend, wenn es kontinuierlich in der nötigen Dosis aufgenommen wird. Studien in Spanien (4) und Italien (5) zeigen zwar eine Reduzierung der Stadttaubenschwärme, enthalten aber keine Untersuchungen dazu, ob und wie schwer die bekannten, zum Teil lebensbedrohlichen Nebenwirkungen bei den Tauben auftreten.
Aufnahme nicht kontrollierbar
Nicht nur die dauerhafte Gabe, auch die kaum kontrollierbare Aufnahme vom Ovistop-Aufnahme birgt hohe Risiken. Die bekannten Nebenwirkungen wie geringere Gewichtszunahme sowie geringere Wasseraufnahme könnten für die ohnehin unterernährten Straßentiere lebensgefährlich sein. Ebenfalls bedenklich ist die schlechtere Toleranz von Hitze mit Todesfolge, insbesondere angesichts steigender Temperaturen. Die bei „Mastvögeln“ beschriebenen Nebenwirkungen treten während ihrer kurzen Lebenszeit auf. Stadttauben, die bis zu 10 Jahre (ohne Betreuung etwa 2-3 Jahre) alt werden, müssten ein Leben lang dauerhaft behandelt werden. Doch entsprechende Studien zur Verträglichkeit fehlen.
Überdosierung wahrscheinlich
Hinzu kommt, dass der Wirkstoff zur Verhütung in höherer Konzentration als zur Behandlung gegen Kokzidien eingesetzt wird. Bei der Fütterung von Stadttaubenschwärmen ist eine Überdosierung bei dominanten Tieren wahrscheinlich. Gleichzeitig ist die tiermedizinische Überwachung fraglich, denn erkrankte und sterbende Tiere ziehen sich zurück. Angesichts der nicht kontrollierbaren Wirkstoff-Aufnahme sowie der fehlenden Behandlungsmöglichkeit kann das Mittel zu schweren Nebenwirkungen bis zum Tod führen. Daher ist die Verfütterung von Ovistop tierschutzwidrig.
Potenzielle Gefahr für andere Vögel
Unbeantwortet ist auch die Frage, wie verhindert werden soll, dass andere Vögel das Mittel direkt aufnehmen. Auf der Website heißt es, dass Ovistop nicht gefährlich für andere Vögel sei, da kleine Singvögel den behandelten Mais allein durch anatomische Beschränkungen nicht aufnehmen können. Größere Vögel wie Dohlen, die sich oft unter Taubenschwärme mischen, Wildtauben oder andere Arten können allerdings den Mais aufnehmen.
Fazit: Tierschutzrechtlich nicht vertretbar
Aufgrund der beschriebenen – sowie nicht erforschten – Nebenwirkungen bei einer dauerhaften Behandlung von Stadttauben bewertet der Bundesverband den Einsatz von Ovistop als tierschutzwidrig und warnt vor schweren Tierleid, dass durch Ovistop erzeugt werden kann. Der Wirkstoff Nicarbazin ist als dauerhaftes Verhütungsmittel für Tauben nicht erforscht. Es wird von lebensbedrohlichen Nebenwirkungen berichtet. Wirkung und Aufnahme des Präparats kann bei freilebenden Tieren nicht kontrolliert und die Tiere nicht behandelt werden. Der Einsatz ist aus Sicht des Verbandes tierschutzrechtlich auch nicht vertretbar, da das Augsburger Modell eine mildere Lösung bietet (6). Bei der Abwehr von Stadttauben müssen im Sinne des Staatsziels Tierschutz (Art. 20 a GG) immer zuerst mildere Mittel angewendet werden.
Hohe Kosten durch Dauerverabreichung
Die beworbene Taubenpille wird als einfache und auch kostengünstige Lösung angepriesen. Das dürfte Kommunen angesichts der schwierigen Standortsuche für Taubenschläge ansprechen. Dem Bundesverband ist jedoch bekannt, dass Kommunen nicht auf Ovistop setzen, da die Dauerverabreichung hohe Kosten verursacht. Hinzu kommt, dass die Wirksamkeit des teuren Präparates zweifelhaft ist.
Tierschutzkonforme Lösung: Augsburger Modell
Mit dem seit fast 30 Jahren bewährten Augsburger Modell, das auf betreute Taubenschläge mit artgerechter Fütterung und Ei-Austausch setzt, gibt es eine etablierte sichere Methode zur langfristigen tierschutzkonformen Kontrolle der Stadttauben. Diese Methode wird in vielen Städten erfolgreich umgesetzt, wie die Umfrage (7) des Bundesverbandes zeigte.