Menschen für Tierrechte wehrt sich über zwei Instanzen gegen das Unternehmen Ornitec
Menschen für Tierrechte hatte im Juni das Umwelt- und Veterinäramt von Darmstadt in einem Offenen Brief aufgefordert, das Taubenabwehrgel Bird Free vom Regierungspräsidium Darmstadt zu entfernen. Daraufhin erhielten wir eine Abmahnung des Unternehmens Ornitec, das das in der EU als Biozidprodukt zugelassene Bird Free in Deutschland vertreibt und installiert. Zwei Gerichte entschieden in einem Eilverfahren über Äußerungen in dem Brief, im Wesentlichen zu unseren Gunsten.
Im März 2025 erhielten wir einen Hinweis, dass das Taubenabwehrgel Bird Free am Regierungspräsidium Darmstadt angebracht sei. Das Mittel soll vor allem durch eine für Vögel sichtbare Fluoreszenz sowie Geruch abschrecken. Es ist aber auch klebrig und gelegentlich können Vögel damit in Kontakt kommen[1]. Wir und ein Darmstädter Taubenschutzverein haben Umwelt- und Veterinäramt mehrfach schriftlich und telefonisch darum gebeten, das Mittel zu entfernen. Im Juni schrieben wir schließlich einen Offenen Brief an die Ämter. Ornitec reagierte daraufhin mit einer anwaltlichen Abmahnung – Tenor: Unsere Äußerungen zur Tier- und Artenschutzwidrigkeit von Bird Free und zu Verboten in einigen Bundesländern würden nicht stimmen. Wir hätten diese zu unterlassen und müssten Schadensersatz zahlen, u.a. weil die Bird Free-Schälchen zum Teil entfernt wurden.
Laut Ornitec liegt Verwechslung vor: Bird Free sei nicht tierschutzwidrig
In den mittlerweile von unserer Webseite gelöschten Briefen hatten wir die Ämter u.a. über Gefahren für Stadttauben und andere Tiere unter Angabe offizieller Quellen informiert. Laut Ornitec handele es sich bei dem in den Quellen genannten Produkt allerdings nicht um das eigene „Bird Free“, sondern um ein anderes, gleichnamiges Produkt. Für Bird Free von Ornitec gebe es keine behördlichen Verbote.
Landgericht sieht unsere Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt
Mit einer auf Medienrecht spezialisierten Anwaltskanzlei wehrten wir uns gegen die Forderungen und Drohungen in der Abmahnung. Ornitec beauftragte dann eine zweite Anwaltskanzlei, die eine einstweilige Verfügung beim Landgericht Frankfurt beantragte. Das Gericht wies den Antrag vollständig zurück und verneinte einen Unterlassungsanspruch. Es stellte klar, dass wir Behörden auf (vermeintliche) Missstände hinweisen können. Denn das Verfahrensprivileg gelte auch, wenn aus der Zivilgesellschaft heraus empfundene Missstände an Behörden herangetragen werden. Bei dem auf unserer Webseite veröffentlichten Offenen Brief sah das Landgericht sämtliche beanstandete Äußerungen von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt, da es eine gewisse Tatsachengrundlage gebe. Ornitec legte eine sofortige Beschwerde ein, der Fall ging zum Oberlandesgericht Frankfurt a.M. (OLG).
Oberlandesgericht hält Äußerungen ebenfalls für zulässig
Das OLG bestätigte im September im Wesentlichen die Zurückweisung des Verfügungsantrags. Zunächst stellte es klar, dass unsere Äußerungen gegenüber den Behörden vom Verfahrensprivileg gedeckt seien. Die Äußerungen in dem im Internet veröffentlichten Offenen Brief seien zulässig, weil wir uns auf privilegierte Quellen, wie zum Beispiel auf den Tierschutzbeirat Niedersachsens oder Landestierschutzbeauftragte berufen und davon ausgehen konnten, dass diese das Produkt von Ornitec meinten. Der einzige berechtigte Punkt sei unsere Verdachtsäußerung, dass eine in Darmstadt gefundene Taube wahrscheinlich Kontakt mit den Bird Free-Tiegeln hatte. Dafür fehle die erforderliche Tatsachengrundlage, so dass die Äußerung verboten wurde.
Keine inhaltliche Entscheidung
Das OLG ließ ausdrücklich offen, ob unsere Behauptungen zu Bird Free wahr oder falsch sind, da wir uns jedenfalls auf privilegierte Quellen berufen konnten. In Zukunft können wir uns jedoch vermutlich nicht mehr darauf berufen, da sich die Behörden möglicherweise auf ein anderes, gleichnamiges Produkt bezogen haben. Wie wir nun wissen, gab es tatsächlich ein anderes Produkt mit gleichem Namen, das wieder vom europäischen Markt genommen wurde.
Somit haben wir zwar keine amtlichen Belege für eine Tierschutzwidrigkeit des Produkts Bird Free von Ornitec. Doch der Tierschutzbeauftragte von Sachsen-Anhalt, Dr. Marco König, schreibt ganz allgemein: „Die Verwendung von Pasten oder Gelen zur Taubenvergrämung ist dann tierschutzwidrig, wenn sie die physikalische Eigenschaft des Klebens haben und ein direkter Kontakt zwischen Tauben und Vergrämungsmittel möglich ist.“[2] Von der Klebrigkeit des Mittels konnten wir uns selbst überzeugen: Es klebte so stark an den Fingern, dass es sich auch durch mehrmaliges Händewaschen nicht entfernen ließ, sondern erst durch eine Handwaschpaste. Auch Ornitec räumt ein, dass Tauben gelegentlich das klebrige Bird Free Gel berühren können.1 Menschen für Tierrechte sieht darin ein erhebliches Risiko für Verklebungen bei Stadttauben und somit die Gefahr von Flugunfähigkeit, Erfrieren und Verhungern.
Einschüchterungsversuche gegen Tierrechtsvereine
Die Auseinandersetzung mit Ornitec spiegelt ein bekanntes Problem für Tierrechts-/Tierschutz- oder Umweltschutzorganisationen wider und ist für uns ein Fall einer sogenannten SLAPP-Klage (Strategic Lawsuit Against Public Participation = Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung): Unternehmen nutzen ihre wirtschaftliche Macht, um kritische Stimmen, die sich gegen Missstände wehren, mundtot zu machen und Vereine finanziell zu ruinieren. Wir werden uns auch zukünftig gegen Versuche, unsere kritische Berichterstattung zu unterbinden, wehren.
Stadt Witten ließ Bird Free wieder entfernen
Auch die Stadt Witten hatte im September Ornitec mit der Anbringung von Bird Free beauftragt. Zwar stimmte das zuständige Veterinäramt dem Einsatz zunächst zu. Nach dessen Auskunft gab es aber nach und nach Meldungen, dass einzelne Tiere relativ stark verklebt waren. Daraufhin befasste das Amt sich eingehender mit der Problematik und erließ schließlich ein Verbot für die Anwendung des Produkts im gesamten Kreisgebiet. Witten war sofort bereit, das Mittel zu entfernen und wird nun gemeinsam mit Tierschützern nach Alternativen suchen. Das Beispiel zeigt, dass eine bundesweite tierschutzrechtliche Bewertung von Bird Free und Schutzmaßnahmen wie Abdeckungen über den Schalen nötig sind.
Wie uns die Arbeitsgruppe Tierschutz (AGT) der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz Anfang August auf Nachfrage mitteilte, schätzt sie die Verwendung von Pasten und Gelen zur Taubenvergrämung als tierschutzwidrig ein, wenn die Mittel kleben und ein direkter Kontakt mit den Tauben möglich ist. Aus fachlicher Sicht hält die AGT ein bundesweites Vermarkungsverbot für begrüßenswert. Sie bat das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMLEH) um Auskunft, wie gewährleistet wird, dass zur Zulassung anstehende Biozidprodukte auf ihre Auswirkungen auf die Zielorganismen sachgerecht geprüft werden. Menschen für Tierrechte wird sich weiterhin für eine bundesweite Regelung einsetzen.
Fußnoten
[1] Siehe https://birdfree-taubenabwehr.de/birdfree.html: „Während die überwiegende Mehrheit der Vögel durch die visuellen und olfaktorischen Reize von Bird Free abgeschreckt wird, kommen sie mit dem Gel nicht in Kontakt, auch dort nicht, wo Nester entfernt und Bird Free eingesetzt wurde. Bisweilen werden Brutvögel bei dem Versuch beobachtet, unmittelbar danach zum Brutplatz zurückzukehren, dabei berühren sie gelegentlich das klebrige Bird Free Gel. Aufgrund der hohen Viskosität des Gels trägt der Vogel keinen Schaden davon. Vögel verabscheuen jedoch alles, was an ihren Federn kleben könnte, sodass der Vogel das Gel nur einmal berühren muss, um niemals zurückzukehren.“
[2] M. König, Verwendung von Klebepasten als Vergrämungsmittel für Tauben, Amtstierärztlicher Dienst und Lebensmittelkontrolle, 26. Jahrgang – 2/2019
