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Tierversuche

10.10.2025: Tierschutzpreis für den Verbrauch überzähliger Versuchstiere: wo bleibt der Tierschutz

Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie (Leibniz-HKI) hat den diesjährigen Thüringer Tierschutzpreis 2025 erhalten. Und das in der Kategorie Tierschutz: Das Wissenschaftsduo Dr. Kerren Volkmar und Dr. Maria Straßburger hat zahlreichen überzähligen Versuchsmäusen die Lungen entnommen und daraus Testgewebe hergestellt.

Ein Kommentar

Lungengewebe, entnommen von getöteten Säugetieren und geschnitten in sehr dünnen Scheiben, gibt es schon seit vielen Jahren. So hat das Fraunhofer ITEM an menschlichem Lungengewebe frühe Ereignisse bei der Entstehung von Atemwegserkrankungen erforscht. (1)

2017 haben Prof. Andreas Hocke und Prof. Stefan Hippenstiel von der Charité Berlin ein Modell mit menschlichem Lungengewebe entwickelt, mit dem wesentliche Merkmale einer Lungenentzündung simuliert werden können. (2) Derartiges Gewebe vom Schwein, der Maus, aber auch vom Menschen werden in Agarose eingebettet und mit einem speziellen Mikrotom oder neuerdings auch Vibratom (3, 4) in feinste Scheiben geschnitten, ohne die Zellen zu zerstören.

Das nun ausgezeichnete Preisträgerteam arbeitet jedoch mit Mäusen, obwohl es sich bei der Zielsetzung um die Entwicklung möglicher Behandlungsmethoden menschlicher Pilzerkrankungen der Lunge handelt. (5) Das Team vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie (HKI) hat sich auf Erforschung von Pilzinfektionen der Maus spezialisiert. (6) Daher liegt es nahe, überzählige Mäuse, von denen wegen falschen Geschlechts, zunehmendem Alter, falschen Genotyps oder Wegfall der wissenschaftlichen Fragestellung es viele gibt, ihrer Organe zu berauben und daran zu forschen. Da die Tiere vorher nicht im Versuch behandelt werden, ist es auch kein Tierversuch und kann als Alternative im Sinne einer Reduktion von Tierversuchen angepriesen werden.

Nur: Warum erforschen die Wissenschaftler:innen ihre wissenschaftlichen Fragestellungen nicht mit humanem Gewebe? Schließlich wollen sie doch mitnichten Mäuse heilen, sondern Patienten. Das wäre doch eine echte Alternative.

Die wissenschaftliche Gemeinde dürfte sich über so viel Zuspruch aus der Presselandschaft freuen, ging es doch in den letzten Jahren stark um die Auslegung des vernünftigen Grundes zum Töten von überzähligen Versuchstieren. Im Jahr 2022 wurden laut offizieller Statistik in Deutschland etwa 1,77 Millionen Tiere getötet, weil sie „überschüssig“ waren – die meisten davon Mäuse.

Im Rahmen der aktuellen Reform des Tierschutzgesetzes forderten Forschende aus dem Versuchstierbereich seit längerem, die Tötung von sogenannten überzähligen Versuchstieren zu vereinfachen, um Rechtssicherheit für Personen zu schaffen, die Tierversuche durchführen. Die Bundesregierung kam der Forderung der Wissenschaft nach und legte im Herbst letzten Jahres eine Änderung in der Tierschutz-Versuchstierverordnung (TierSchVersV) vor, die den Begriff des „vernünftigen Grundes“ mit der sogenannten „Kaskadenregelung“ verknüpft. Danach liegt der „vernünftige Grund“ zur Tötung der Überschusstiere vor, wenn diese trotz sorgfältiger Zuchtplanung sowie Zweitnutzungsprüfung keiner alternativen Verwendung zugeführt werden können und die Kapazitäten zur artgerechten Haltung und Pflege der Tiere erschöpft seien. Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung der Tierschutzorganisationen jedoch nicht streng und nicht konkret genug und schließen die Vermittlung (Rehoming) oder die dauerhafte Unterbringung überzähliger Versuchstiere im Sinne der EU-Tierversuchsrichtlinie aus.

Nach Auffassung von Tierschutzorganisationen widerspricht diese Regelung grundsätzlich dem Tierschutzgesetz und dem Staatsziel Tierschutz.
Danach darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Rechtlich ist der Tod jedoch der größtmögliche Schaden, der einem Tier zugefügt werden kann. Dies zeigt sich auch in der aktuellen Rechtsprechung: Nach mehreren höchstrichterlichen Urteilen stellen rein wirtschaftliche Gründe oder Kapazitätsmangel keinen vernünftigen Grund für die Tötung eines Tieres dar. Die Tötung ohne Grund haben diese Preisträger:innen nun geschickt umgehen können und werden dafür geehrt – mit einem Tierschutzpreis.
Insgesamt stehen Preisgelder in Höhe von 6.000 Euro zur Verfügung, die allerdings auf drei Preiskategorien aufgeteilt wurden. (7)

Quellen

(1) Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM) (2025). Online: Präzisionsschnitte der Lunge. An menschlichem Lungengewebe frühe Ereignisse bei der Entstehung von Atemwegserkrankungen erforschen.https://www.item.fraunhofer.de/de/f-e-kompetenzen/lungenforschung/pcls.html
(2) Johanna Berg, Katja Zscheppang, Diana Fatykhova, Mario Tönnies, Torsten T. Bauer, Paul Schneider, Jens Neudecker, Jens C. Rückert, Stephan Eggeling, Maria Schimek, Achim D. Gruber, Norbert Suttorp, Stefan Hippenstiel, Andreas C. Hocke (2017): Tyk2 as a target for immune regulation in human viral/bacterial pneumonia. European Respiratory Journal 50: 1601953
(3) Koziol-White C, Gebski E, Cao G, Panettieri RA Jr. Precision cut lung slices: an integrated ex vivo model for studying lung physiology, pharmacology, disease pathogenesis and drug discovery. Respir Res. 2024 Jun 1;25(1):231. doi: 10.1186/s12931-024-02855-6. Erratum in: Respir Res. 2025 Jan 27;26(1):42. doi: 10.1186/s12931-024-03085-6. PMID: 38824592; PMCID: PMC11144351.
(4) Kollareth DJM, Sharma AK. Precision cut lung slices: an innovative tool for lung transplant research. Front Immunol. 2024 Nov 28;15:1504421. doi: 10.3389/fimmu.2024.1504421. PMID: 39669559; PMCID: PMC11634892.
(5) Nikitashina L, Chen X, Radosa L, Li K, Straßburger M, Seelbinder B, Böhnke W, Vielreicher S, Nietzsche S, Heinekamp T, Jacobsen ID, Panagiotou G, Brakhage AA. The murine lung microbiome is disbalanced by the human-pathogenic fungus Aspergillus fumigatus resulting in enrichment of anaerobic bacteria. Cell Rep. 2025 Mar 25;44(3):115442. doi: 10.1016/j.celrep.2025.115442. Epub 2025 Mar 19. PMID: 40111997.
(6) Jia L.J., Bernal FA, Soehnlein J, Sonnberger J, Heineking I, Rafiq M, Cseresnyes Z, Kage F, Schmidt F, Zaher R, Hortschansky P, Chaudhary S, Gong X, Schirawski J, Figge MT, Hube B, Brakhage AA# (2025) bioRxiv [Preprint]
(7) Thüringer Ministerium für Soziales, Gesundheit, Arbeit und Familie (2025). Thüringer Tierschutzpreis. https://www.tmasgff.de/veterinaerwesen/thueringer-tierschutzpreis