Der am 9. April 2025 veröffentlichte Koalitionsvertrag enttäuscht in Sachen Tierschutz. CDU, CSU und SPD haben zwar einige Punkte aus der gescheiterten Tierschutzgesetz-Novelle der Ampel herausgepickt, doch diese reichen bei Weitem nicht aus, um das millionenfache Tierleid und die teils katastrophalen Zustände bei Zucht, Haltung und Transport von Tieren spürbar zu verbessern. Die Ankündigungen sind schwach und unkonkret und lassen zu viel Interpretationsspielraum. Ein systemischer Ansatz, der bei den Ursachen des Tierleids ansetzt, fehlt komplett. Im Bereich Tierversuche drohen sogar Verschlechterungen. Umso wichtiger, dass die Tierschutz- und Tierrechtsseite jetzt mit vereinten Kräften für die Tiere kämpft. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Mit etwas Mühe findet sich in dem Papier auch Potential für eine zukunftsfähige Landwirtschaft weg von der Tierhaltung. Dieses müssen wir nutzen.
Tierhaltungskennzeichnung: Vom „Tierwohl“ weit entfernt
Nach Wochen intensiver Verhandlungen steht jetzt fest: Der Tierschutz spielt bei der nächsten Groko nur eine untergeordnete Rolle. Für die Koalitionspartner aus CDU, CSU und SPD rangiert der Schutz der Tiere weit hinter wirtschaftlichen Interessen. Unter der Überschrift „Nutztierhaltung und Tierschutz“ heißt es im Vertrag: „Wir reformieren unter Einbeziehung der Beteiligten der gesamten Wertschöpfungskette das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz grundsätzlich, um es praxistauglich zu gestalten und auf das Tierwohl auszurichten.“ Doch ob die geplante Reform der Tierhaltungskennzeichnung (THK) mehr Tierschutz bringt ist unwahrscheinlich. Denn um die Zustände in den Ställen, Transportern und Schlachthäusern tatsächlich zu verbessern, reicht eine Kennzeichnung allein nicht aus.
Schwarz-Rot muss Mindeststandards verschärfen
Schwarz-Rot wird nicht darum herumkommen, auch die unzureichenden gesetzlichen Mindeststandards zu verschärfen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass bei Verbraucher:innen bei den unteren Labelstufen der THK der Eindruck erweckt wird, ein tierfreundliches Produkt zu kaufen. Die unterste Stufe „Stall“ ist jedoch nichts anderes als konventionelle Massentierhaltung. Die ersten vier Stufen erlauben bisher sogar, die Tiere auf Vollspaltenbuchten und ohne Auslauf zu halten. Dies ist vom vielbeschworenen „Tierwohl“ weit entfernt.
Wirtschaftliche Interessen im Vordergrund
Außerdem kündigen die Koalitionspartner an, die „notwendigen Mittel für den tierwohlgerechten Stallbau auf Grundlage staatlicher Verträge dauerhaft“ bereitzustellen. Sie wollen „genehmigungsrechtliche Hürden beim Stallbau abschaffen“ und die „Regelungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes praxistauglich umgestalten“. Im Vergleich zu den Planungen der Arbeitsgruppen fehlen im Koalitionsvertrag konkrete Zahlen, wie die Koalition den „tierwohlgerechten Stallbau“ finanzieren will. Ob sich die Deregulierung beim Stallbau ein Vorteil für die Tiere ist, ist zweifelhaft. Hier stehen klar die wirtschaftlichen Interessen der Landwirtschaft im Vordergrund.
Könnte positiv sein: Tierschutz-TÜV
Potential könnte das angekündigte Prüf- und Zulassungsverfahren für neue Stallsysteme haben. Diesen sogenannten Tierschutz-TÜV fordert die Tierschutzseite schon seit Jahrzehnten. In der Schweiz werden Bewilligungen beispielsweise nur erteilt, wenn bestimmte Anforderungen an eine tiergerechte Haltung erfüllt sind. Hier bleibt jedoch abzuwarten, wie hoch die Standards sein werden. Niedrige Standards könnten die umgekehrte Wirkung haben und schlechte Haltungssysteme legitimieren.
Daten zur Tiergesundheit müssen ausgewertet werden
Die ebenfalls geplante Rechtsgrundlage für Kontrolle und Kennzeichnung von toten Tieren in Verarbeitungsbetrieben, ist wichtig, um eine bessere Überwachung und Bewertung der Tiergesundheit zu ermöglichen. Wenn auffällig viele Tiere in bestimmten Betrieben vorzeitig sterben, können die Behörden Rückschlüsse auf schlecht Haltungsbedingungen oder Managementfehler ziehen. Dies gelingt jedoch nur, wenn die Daten aus den Betrieben auch tatsächlich ausgewertet werden. Bisher werden sie nur erhoben.
Überfällig: Videoüberwachung auf Schlachthöfen
Eine Videoüberwachung auf Schlachthöfen wollen CDU, CSU und SPD lediglich prüfen. Auch der Punkt war Teil der gescheiterten Novellierung des Tierschutzgesetzes der Ampel, die leider nicht mehr umgesetzt wurde. Die Videoüberwachung und die Kontrolle von toten Tieren sind wichtige Kontrollmöglichkeiten, die dringend umgesetzt werden müssen. Sie können dabei helfen, Tierschutzvergehen festzustellen und zu ahnden. Im besten Fall wirken sie sogar präventiv. Je nach Umsetzung positiv sind die Planungen im Heimtierbereich. Hier wollen die Koalitionäre ein Verbot des Handels im öffentlichen Raum sowie des anonymen Online-Handels mit Tieren umsetzen. Außerdem ist geplant, Tierheime zu unterstützen.
Tierversuchslobby will Tierschutz schwächen
Trotz aller Bemühungen, dass auch die Tiere in den Laboren besser geschützt werden, kommt das Wort „Tierversuche“ im gesamten Koalitionsvertrag nur einmal vor, leider nicht beim Kapitel zum Tierschutz, sondern beim „Innovationsfreiheitsgesetz“. Hier heißt es: „Wir geben der Forschung mehr Freiheit und entfesseln sie von kleinteiliger Förderbürokratie. […] Wir schaffen ein eigenständiges Gesetz für wissenschaftliche Tierversuche. […].“ Die aufwendig erarbeitete Reduktionsstrategie für Tierversuche wird mit keinem Wort erwähnt. Die Handschrift der Tierversuchslobby ist hier klar zu erkennen. Sie fordert seit Jahren vereinfachte Genehmigungsverfahren bei Tierversuchen und die Herausnahme der Tierversuche aus dem Tierschutzgesetz. Dies muss verhindert werden. Die Tiere in den Laboren müssen den gleichen Schutz haben, wie alle anderen Tiere.
Systemischer Ansatz fehlt
Es fehlen nicht nur viele drängende Tierschutzthemen, es fehlt vor allem ein systemischer Ansatz, der bei den Ursachen des Tierleids ansetzt. In dieser Hinsicht ist der Koalitionsvertrag ein Totalausfall. Die Groko hat sich zwar einige Punkte aus der gescheiterten Tierschutzgesetz-Novelle der Ampel herausgepickt, doch diese reichen bei Weitem nicht aus, um das millionenfache Tierleid und die teils katastrophalen Zustände bei Zucht, Haltung und Transport von Tieren spürbar zu verbessern. Es fehlen wichtige Tierschutz-Themen ein Verbot grausamer Tiertransporte oder der leidvollen Anbindehaltung von Kühen. Auch die von Tierschutzseite seit Jahrzehnten geforderte Positivliste für die Heimtierhaltung oder das Verbot von Qualzuchten bei Tieren in der Landwirtschaft und bei Heimtieren fehlen, ebenso wie eine Kastrationspflicht für Freigängerkatzen, eine Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht für Hunde und Katzen oder den Erhalt des wichtigen Amtes der Bundestierschutzbeauftragten. Umso wichtiger, dass die Tierschutz- und Tierrechtsseite mit vereinten Kräften für Verbesserungen und gegen mögliche Verschlechterungen vorgeht.
Zukunftspotential nutzen
Mit etwas Mühe findet sich in dem Papier jedoch auch Zukunftspotential: So will sich die Koalition für gesunde Lebensmittel sowie für Natur, Umwelt und Biodiversität einsetzen, ebenso wie für Nachhaltigkeit. Dass die Parteien dabei vor allem auf Freiwilligkeit, Anreize, Eigenverantwortung und den „selbstbestimmten Verbraucher“ setzen wollen, reicht nicht aus. Positiv ist, dass CDU, CSU und SPD eine umfassende und ambitionierte EU-Eiweißstrategie unterstützen und den heimischen Anbau von Eiweißpflanzen sowie Entwicklung und Markteinführung nachhaltiger alternativer Proteine stärken wollen. Außerdem wollen die Koalitionäre den Selbstversorgungsgrad mit Obst und Gemüse erhöhen. Jetzt heißt es Druck zu machen, um dieses Potential für den Umbau zu einer tatsächlich zukunftsfähigen Landwirtschaft weg von der Tierhaltung hin zu einer Planetary Health Diet zu nutzen.