Das Interview mit Romana Teuber haben wir im Oktober 2024 geführt
Ramona Teuber ist Professorin für Marktlehre der Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie Vorstandmitglied des Zentrums für Nachhaltige Ernährungssysteme an der Justus-Liebig Universität Gießen. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf der Erforschung des Konsumentenverhaltens bei Nahrungs- und Genussmitteln. Ihr Team beschäftigt sich unter anderem mit Akzeptanz und Zahlungsbereitschaftsstudien sowie sich wandelnden Ernährungsgewohnheiten. Im Interview plädiert sie für ein Bündel von Maßnahmen, um die tiefgreifenden Veränderungen in den Agrar- und Ernährungssystemen bewältigen zu können. Ein weiter so sei in vielen Bereichen keine Option. Die Stoßrichtung müsse die Reduktion des Konsums tierischer Produkte sein.
Prof. Teuber, zunächst ein Blick auf den Status Quo: Halten Sie die Agrar- und Ernährungssysteme vor dem Hintergrund der Krisen und einer wachsenden Weltbevölkerung für zukunftsfähig?
Die globalen Agrar- und Ernährungssysteme stehen angesichts multipler Krisen wie beispielsweise dem Klimawandel und dem Biodiversitätsverlust als auch dem Anstieg an ernährungsbedingten Krankheiten definitiv vor enormen Herausforderungen. Einerseits muss man festhalten, dass der technologische Fortschritt in der Landwirtschaft, etwa in der Pflanzen- und Tierzucht, zu enormen Produktivitätssteigerungen geführt und so Hungersnöte in vielen Teilen der Welt reduziert hat. Andererseits ist dieser technische Fortschritt auch mit negativen Konsequenzen einhergegangen. Bodendegradation, Wasserknappheit und Biodiversitätsverlust sind schon heute ernsthafte Bedrohungen für die langfristige Produktivität und das wird sich in Zukunft noch eher verstärken. Auch der Klimawandel bedroht die Produktivität landwirtschaftlicher Flächen durch Extremwetterereignisse und das gefährdet die Resilienz und Zukunftsfähigkeit. Daher braucht es tiefgreifende Veränderungen in den Agrar- und Ernährungssystemen. So können Ansätze wie regenerative Landwirtschaft, Permakultur und Agrarökologie helfen, die natürlichen Ressourcen zu schonen und die Landwirtschaft an den Klimawandel anzupassen. Auch Diversifizierung wird als ein vielversprechender Ansatz angesehen, um Systeme weniger anfällig für Krisen aufzustellen.
Wenn Sie priorisieren: Wo liegen die größten Probleme, die zuerst angegangen werden müssten?
Das heutige Ernährungssystem steht vor einer Reihe von tiefgreifenden Problemen, die sowohl die Umwelt als auch die menschliche Gesundheit und soziale Gerechtigkeit betreffen. Es ist schwierig, da nun ein Problem herauszugreifen, da wir ja auch von einem System sprechen und daher die Probleme systemisch angehen müssen. Die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft sollte daher immer auch zusammen mit der Förderung gesunder Ernährungsgewohnheiten gedacht werden. Initiativen, die die Produktion und den Verzehr von Nahrungsmitteln auf pflanzlicher Basis fördern, haben das Potenzial, Umweltbelastungen zu verringern und gleichzeitig das Risiko ernährungsbedingter Krankheiten zu senken.
Ist die Planetary Health Diet, also wenig Fleisch, dafür mehr Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte und Nüsse, das Ziel?
Prinzipiell ja. Die Planetary Health Diet wird von vielen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen als zukunftsweisend betrachtet, da sie versucht, sowohl die menschliche Gesundheit als auch die des Planeten zu berücksichtigen. Die Forschung zeigt klar, dass die Stoßrichtung, das heißt die Reduktion des Konsums tierischer Produkte, die Zukunft sein muss. Hülsenfrüchte als pflanzenbasierte Proteinquellen sind definitiv ein wichtiger Bestandteil nachhaltiger Ernährungssysteme. Höhere Konsummengen von Obst und Gemüse sind natürlich auch zu begrüßen, wobei man hier einen Blick draufhaben muss, wo und wie das jeweilige Anbausystem aussieht. Die in den 1980er Jahren entwickelte Vollwerternährung (auch bekannt unter der Gießener Formel) hat übrigens genau diese Leitlinien vorgegeben, etwa die Bevorzugung pflanzlicher und wenig verarbeiteter Lebensmittel.
Wenn es um das Thema Ernährung geht, fällt oft der Satz: „Ernährung ist Privatsache!“ Doch trifft dies zu, in Anbetracht der Tatsache, dass die aktuell die Gesellschaft die Folgekosten der Produktion tierischer Produkte zahlt?
Das ist eine sehr gute Frage. Ja, Ernährung wird als etwas sehr Persönliches angesehen und Eingriffe in diesen Bereich werden relativ schnell als Bevormundung oder Paternalismus wahrgenommen. Aber wie Sie schon sagen: Da unser momentanes Ernährungssystem mit sehr hohen externen Kosten, das heißt gesellschaftlichen Gesundheits- und Umweltfolgekosten einhergeht, sind Eingriffe hier aus ökonomischer Sicht nicht nur gerechtfertigt, sondern notwendig. Das heißt allerdings im Umkehrschluss nicht, dass alles top-down reguliert werden sollte. Es kommt auf den Gestaltungswillen aller Akteure im System an und auf geeignete Anreizsysteme.
Die Probleme liegen ja nicht nur in der Landwirtschaft, sondern im gesamten Ernährungssystem. Vor welchen Herausforderungen stehen Politik, Produzenten, Handel und Konsumenten?
Die zentrale Herausforderung ist der Systemblick und die Verbindungen zwischen den verschiedenen Elementen des Ernährungssystems. So sind die Bereiche Landwirtschaft, Klima und Gesundheit eng miteinander verknüpft. Doch in den meisten Fällen behandeln die politischen Maßnahmen jedes Element für sich und sind gar nicht oder nicht gut aufeinander abgestimmt. Das haben wir im Endbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft von 2021 schon angemerkt: Für diesen Bereich relevant sind die Agrar-, Klima-, Umwelt- und Tierschutzpolitik sowie die Ernährungs- und Gesundheitspolitik bis hin zur Wirtschafts- und Handelspolitik. Teilweise fehlt dieser Politik ein kohärenter Ansatz, sodass die selbst gesetzten Ziele nicht erreicht werden. Ein kohärenter Ansatz ist aber umso wichtiger, je größer die Herausforderungen sind. Aber das ist eben nicht einfach. Im Forschungsbereich sehen wir verstärkte Anstrengungen, systemisch zu arbeiten. Das ist nicht trivial. Nichtsdestotrotz müssen wir uns alle dem stellen, denn ein weiter so ist in vielen Bereichen keine Option. Die Transformation ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, alle Akteure müssen ihren Beitrag dazu leisten.
Wo sehen Sie Möglichkeiten, Hebel und Chancen, damit die Transformation im Agrar- und Ernährungsbereich gelingt?
Ein großer Hebel ist sicherlich die Gemeinschaftsverpflegung. Hier werden viele Menschen erreicht und man kann auf soziale Normen einwirken, so dass man hier auch nachhaltigere Effekte erreichen könnte. Ein zweiter großer Hebel für ein nachhaltigeres Agrar- und Ernährungssystem ist die Ausgestaltung der Agrarpolitik.
Nach unserem Eindruck wagt sich die Politik an das Thema Ernährung nicht heran. Man könnte fast von einem Kulturkampf sprechen. Haben Sie eine Idee, wie man Menschen motivieren kann, ihr Konsumverhalten zu ändern?
Aus meiner Sicht ist zentral, das haben wir auch in der Zukunftskommission Landwirtschaft sehr intensiv diskutiert, dass es um eine Kulinarik der Zukunft gehen muss, sprich es geht um Genuss! Das ist ein wichtiger Aspekt der schon oben angesprochenen Vollwert-Ernährung, Genuss! Wir werden nicht erfolgreich sein, das heißt die Transformation zügig voranbringen, wenn das vorherrschende Narrativ „Verzicht“ oder sogar „Verbot“ ist. Im wissenschaftlichen Bereich als auch im Marketing würden wir davon reden, es positiv zu framen. Also darauf fokussieren, was eine neue Kulinarik alles an geschmackvollen Optionen bietet. Dafür muss man schon von Anfang an ansetzen, denn Geschmackspräferenzen werden früh geprägt, sprich, wenn Kinder von klein auf eine abwechslungsreiche vorwiegend pflanzliche Ernährung erfahren, sind wir auf einem guten Weg. Denn wir wissen aus der Forschung: Wir stellen uns auf den Geschmack ein, mit dem wir häufig konfrontiert sind. Das kann man als Problem auffassen oder eben auch als Chance.
Welche politischen Maßnahmen halten Sie für zielführend?
Es gibt hier sicherlich nicht die eine Maßnahme, sondern ein Bündel an Maßnahmen, die die Transformation vorantreiben. Wie oben schon gesagt ist ein großer Hebel die Agrarpolitik, ein zweiter die Gemeinschaftsverpflegung und die öffentliche Beschaffung. Der letzte Aspekt zielt darauf ab, Ernährungsumgebungen so zu gestalten, dass diese oben beschriebene neue Kulinarik gefördert wird. Dies kann durch Instrumente der Erhöhung von Markttransparenz (Kennzeichnungen und Zertifikate) unterstützt werden, wie zum Beispiel ein Nachhaltigkeitslabel.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, was würden Sie sich wünschen, um bei Produktion und Ernährung den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft begegnen zu können?
Weniger Ideologie, weniger Lobbyismus, mehr wissenschaftlich basierte Entscheidungen.
Das Interview führte Steffanie Richter