Das Interview mit der Stadttaubenbeauftragten Alexandra Weyrather haben wir im Oktober 2024 geführt.
Alexandra Weyrather hat eine ungewöhnliche Arbeitsstelle. Seit 2019 ist sie Stadttaubenbeauftragte in Wiesbaden. Ihre Aufgabe ist es, ein flächendeckendes Stadttaubenmanagement in der Stadt einzuführen und Konflikte zwischen Mensch und Taube zu entschärfen. Die Biologin ist Autorin des Handbuchs „Grundlagen für ein effizientes tierschutzgerechtes Stadttaubenmanagement in deutschen (Groß)Städten, das Menschen für Tierrechte 2021 herausgegeben hat. Im Interview berichtet sie, warum wir mehr Taubenbeauftragte in Großstädten brauchen und warum eine Kombination verschiedener Maßnahmen nötig ist.
Alexandra, unseres Wissens bist Du die einzige hauptamtliche Taubenbeauftragte Deutschlands. Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?
Meine Arbeit besteht vor allem darin, die Umsetzung und Weiterentwicklung der vielen Bereiche unseres Gesamtkonzeptes voranzubringen. Dazu gehören beispielsweise die Schließung wilder Brutplätze, die Standortsuche für Taubenschläge, Öffentlichkeitsarbeit, Taubenzählungen, Erfolgskontrollen und Prüfung neuer Maßnahmen. Wir konzentrieren uns dabei nicht nur auf die tierschutzgerechte Populationskontrolle, sondern sind auch dabei, eine Pflegestation sowie ein Hilfsnetzwerk für kranke oder verletzte Tauben aufzubauen. Außerdem kümmere ich mich täglich um die „Taubenprobleme“ der Wiesbadener Bürger:innen. Dazu habe ich viele Vor-Ort-Termine, oft zusammen mit der Stadttaubenhilfe Mainz/Wiesbaden.Wir sind ein gutes Team und konnten schon vielen Tieren und Menschen helfen.
Würdest du anderen Städten die Einführung einer solchen Stelle empfehlen?
Grundsätzlich ja. Um in Großstädten ein tierschutzgerechtes Taubenmanagement erfolgreich umzusetzen, braucht es eine Person, die den Überblick über die vielen Teilbereiche des Gesamtkonzeptes behält und die Zusammenarbeit der verschiedenen Ämter, Feuerwehr, Firmen, Mitarbeitern und Ehrenamtlichen koordiniert. Die besten Konzepte nutzen nichts, wenn sie nicht konsequent umgesetzt werden. Dafür muss die Stelle mit den nötigen finanziellen Mitteln ausstattet werden. Damit die Maßnahmen einen messbaren Erfolg bringen, müssen sie außerdem dauerhaft laufen.
Du hast dich auch in deiner Masterarbeit mit Stadttauben beschäftigt. Was fasziniert Dich an diesen Tieren?
Stadttauben sind ausgesprochen schlaue Tiere. Sie zeigen interessante Verhaltensweisen nicht nur untereinander, sondern auch Menschen gegenüber. Sie sind genauso empfindsam und leidensfähig wie andere Haustiere, haben aber leider keine große Lobby. Obwohl das Taubenproblem als eines der größten Tierschutzprobleme in deutschen Städten eigentlich für jeden sichtbar ist, ist es anscheinend nicht offensichtlich genug, damit die Städte etwas unternehmen. Mit meiner Masterarbeit wollte ich einen kleinen Beitrag dazu leisten, ein Bewusstsein für dieses Problem zu schaffen.
Hast du eine Erklärung dafür, warum sie noch immer einen so schlechten Ruf haben?
Ich glaube, da kommen verschiedene Aspekte zusammen. Zum einen haben die meisten Menschen in ihrem Leben nur sehr wenig Informationen über Tauben erhalten und wenn, dann meistens keine neutralen oder positiven. Vorurteile halten sich hartnäckig und werden unter anderem durch die schädlingsbekämpfende Industrie geschürt. Dazu kommt, dass das wilde Brüten zu einer großen Belastung werden kann und die Betroffenen mit diesem Problem oft allein dastehen. Tut eine Stadt nichts gegen die unkontrollierte Vermehrung der Tauben, die unweigerlich mit Verschmutzungen von Gebäuden einhergeht, richtet sich der Frust der Leute oft gegen die Tiere, auch wenn diese nur versuchen, zu überleben.
Medial ist überwiegend die Rede von den Problemen, die die Tiere verursachen. Es wird selten darüber berichtet, dass die Tauben selbst ein Problem haben.
Das stimmt leider. Dabei sind die Bedingungen, unter denen die allermeisten Stadttauben leben müssen, tierschutzwidrig. Als Haustiere sind sie auf die Betreuung und Versorgung angewiesen, um ein tiergerechtes Leben führen zu können. Die Tauben auf der Straße sind häufig mangelernährt und leiden unter zahlreichen vogelspezifischen Krankheiten. Ihre Futtersuche in der Stadt und das Brüten an teilweise sehr ungeeigneten Stellen birgt ein hohes Todes- und Verletzungsrisiko. Der Großteil stirbt bereits als Küken in völlig verdreckten wilden Brutplätzen oder vor Erreichen des ersten Lebensjahres. Dazu kommt, dass sie häufig Opfer von Tierquälerei werden. Es ist traurig, dass in Deutschland Haustiere auf den Straßen verelenden und ein so kurzes, meist leidvolles Leben führen müssen. Dabei liegt es in der Verantwortung der Städte, verwilderte Haustiere vor Schmerzen, Leiden und Schäden zu schützen.
Die meisten Städte verbieten das Füttern, um die Bestände zu begrenzen. Was sind deine Erfahrungen mit Fütterungsverboten?
Es ist schwierig, pauschal ein Urteil über Fütterungsverbote zu fällen. Es kommt auf die jeweiligen Umstände in einer Stadt an, ob diese sinnvoll eingesetzt werden können, beispielsweise als Ergänzung zu einem Stadttaubenmanagement, damit Taubenschläge besser angenommen werden. Als Einzelmaßnahme haben Fütterungsverbote noch kein Taubenproblem gelöst. Fütterungsverbote sind für viele Städte aber leider immer noch eine bequeme und vermeintlich günstige Lösung. Dass sie jedoch ineffektiv und bei konsequenter Umsetzung tierschutzwidrig sind, wenn die Tiere dadurch verhungern, wird dabei ignoriert.Unkontrolliertes Füttern ohne Geburtenkontrolle kann allerdings ebenfalls zu Problemen führen und die Situation der Tauben verschlimmern.
Für viele Kommunen sind die wilden Brutplätze ein Problem. Warum ist das so und welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?
Stadttauben sind nicht sehr wählerisch, wenn es um den Ort ihrer Brutplätze geht.
Als Felsenbrüter können sie in der Stadt abwechslungsreiche Gebäudestrukturen nutzen. Da sie über Jahrtausende auf eine hohe Vermehrungsrate hin gezüchtet wurden, versuchen sie selbst unter ungünstigen Bedingungen noch zu brüten. Dazu nutzen sie Dachböden, Häuserruinen und Parkhäuser, aber auch Hinterhöfe, Balkone oder sie brüten einfach auf dem Boden. Um die unkontrollierte Vermehrung zu verhindern, empfiehlt es sich, einen starken Fokus auf den Eiertausch zu legen. Wiesbaden finanziert eine zusätzliche Stelle, damit an wilden Brutplätzen jede Woche Eier getauscht werden können. Die Zahl der hierdurch getauschten Eier übersteigt die in den Taubenschlägen bei weitem und hat bei uns derzeit den größten Einfluss auf die Populationsentwicklung.
Trotz gut funktionierendem Management mit drei betreuten Schlägen ist es auch für Wiesbaden schwierig, die Taubenzahl zu verringern. Wo liegen die Hürden?
Das größte Problem ist der Mangel an geeigneten Standorten für Taubenschläge. Neben baulichen Schwierigkeiten und mangelndem Platz ist die Ablehnung gegenüber Taubenschlägen von Seiten der Gebäudebesitzer:innen nach wie vor sehr groß. Selbst wenn sie die Notwendigkeit für das Projekt erkennen, mangelt es am Willen, das Projekt zum Wohle der Allgemeinheit und der Tiere zu unterstützen. In Wiesbaden bräuchten wir mindestens 30 Schläge, um die Population annähernd abzudecken. Mit Taubenschlägen allein wird man das Problem deshalb leider nicht lösen.
Wiesbaden hat sich für eine flankierende Methode entschieden, die stark umstritten ist: Die Sterilisation männlicher Tauben. Wie funktioniert das?
Die Sterilisation ist ein minimalinvasiver endoskopischer Eingriff, der in der Vogelmedizin schon lange bei verschiedenen Vogelarten angewandt wird. Bei den männlichen Tauben wird dabei jeweils zirka ein Zentimeter der Samenleiter per Endoskop entfernt. Der Eingriff dauert inklusive. Erholungszeit von der Narkose bei den Männchen etwa 30 Minuten. Der Grund, warum nur die Männchen sterilisiert werden, ist, dass ihr natürliches Balz-, Brut- und Territorialverhalten nach dem Eingriff erhalten bleibt und sie ihren Brutplatz dadurch weiterhin verteidigen und nicht durch vermehrungsfähige Tiere ersetzt werden. In Wiesbaden soll die Sterilisation an Stellen, an denen ein Eiertausch nicht möglich ist, als ergänzende Maßnahme zur Geburtenkontrolle eingesetzt werden. Unser Ziel ist, die unkontrollierte Vermehrung und das enorme Tierleid, das dadurch entsteht, zu verringern. Zudem stellt die Sterilisation an vielen einsturzgefährdeten Gebäuden die einzige Möglichkeit dar, die Küken vor dem Tod beim Abriss zu bewahren. Ich bin davon überzeugt, dass Einzelmaßnahmen zur Populationskontrolle in einer Großstadt nicht zum Erfolg führen und wir eine Kombination verschiedener Maßnahmen brauchen, um die Situation der Tiere zu verbessern. Wir wägen bei allen Maßnahmen ab, welches Nutzen-Risiko-Verhältnis es für die Tiere gibt. In Wiesbaden überwiegt im Falle der Sterilisation der Nutzen für das Tierwohl bei weitem das Risiko.
Die Fragen stellte Steffanie Richter