Allgemein Industrielle Tierhaltung

Küken-Tötung: Trotz Verbot geht das Leid weiter

Das Landwirtschaftsministerium plant die Tötung von Hühner-Embryos zu erleichtern

Eigentlich dürften ab 2024 die männlichen Embryonen von Hühnerküken nur noch in den ersten sieben Tagen getötet werden. Eine neue Studie kommt nun zu dem Ergebnis, dass Hühnerembryonen erst ab dem 13. Tag Schmerzen empfinden. Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) kündigte daraufhin an, das Tierschutzgesetz entsprechend zu ändern. Sehr zur Freude der Brütereien. Wenn die nächste Verbotsstufe fällt, dürfen die männlichen Hühner-Embryos weiter nach dem siebten Bruttag getötet werden. Doch auch wenn es gelingt, dass die Brütereien die Hähne nur in den ersten sieben Tagen abtreiben dürfen, ändern dies nichts am grundsätzlichen Ausbeutungssystem, das mit dem Eierkonsum verknüpft ist – im Gegenteil. Weder die Geschlechtsfrüherkennung im Ei noch die Züchtung von „Zweinutzungshühnern“ ändert etwas daran, dass alle Hühner, nach einem kurzen Leben als Hochleistungsproduzenten getötet werden. Tierleidfrei ist nur der Wechsel zu Ei- und Hühnerfleischalternativen.

In Deutschland wurden 2019 45,3 Millionen männliche Küken direkt nach dem Schlupf getötet.

Bis Ende 2021 wurden allein in Deutschland etwa 45 Millionen männliche Küken der Legerassen jedes Jahr geschreddert oder vergast. Der Grund: Sie haben für die Fleischindustrie keinen wirtschaftlichen Wert, da sie weder Eier legen noch für die Mast geeignet sind. Das Bundesverwaltungsgericht untersagte 2019 diese barbarische Praxis. Dies führte zu einem Tötungsverbot, das Anfang 2022 in Kraft trat. Danach dürfen die männlichen Küken zwar nicht mehr nach dem Schlupf getötet werden, wohl jedoch davor. Man ließ der Industrie ein Schlupfloch, indem man erlaubte, dass die Hahnenküken weiter getötet werden dürften, wenn sie sich noch im Ei befanden. Eine Entscheidung zugunsten der Brütereien, die schon damals aus Tierschutzsicht inakzeptabel war.

Soll weiter erlaubt sein: Tötung von Hühnerembryonen
Möglich ist dies durch die sogenannte Geschlechtsfrüherkennung im Ei. Mithilfe technischer Verfahren werden die männlichen Küken schon vorher erkannt und ausselektiert, so dass sie gar nicht erst ausschlüpfen. Die existierenden Verfahren können das Geschlecht eines Kükens jedoch erst nach dem siebten Tag verlässlich bestimmen. Da die Wissenschaft bisher davon ausging, dass die Embryonen spätestens ab dem siebten Tag Schmerz empfinden können, sollte das Tötungsverbot im Ei nach einer Übergangsfrist entsprechend verschärft werden. Ab 2024 sollen die männlichen Embryonen nur noch in den ersten sieben Tagen getötet werden dürfen.

Neue Studie geht von späterem Schmerzempfinden aus
Doch diese Verschärfung wird wahrscheinlich nicht kommen. Das BMEL teilte am 28. März 2023 in einer Pressemitteilung mit, dass eine vom Ministerium in Auftrag gegebene Studie ergab, dass Hühnerembryonen bis einschließlich Bebrütungstag 12 keine Schmerzen empfänden. Um Rechtssicherheit zu schaffen, müsse der entsprende Passus im Tierschutzgesetz geändert werden.

Nutznießer ist die Geflügelindustrie
Als Konsequenz darauf will Landwirtschaftsminister Özdemir den Brütereien mehr Zeit geben, um auf Verfahren umzustellen, die das Geschlecht eines Kükens früher bestimmen können. Das heißt im Umkehrschluss: die männlichen Hühner-Embryos dürfen weiter nach dem siebten Bruttag getötet werden. Die Aufweichung des Embryonen-Tötungsverbot nutzt vor allem den Brütereien, die zusätzliche Kosten und Aufwand scheuen.

Regelungen zementieren Ausbeutungssystem
Doch auch wenn technisch eine frühere Geschlechtsbestimmung möglich ist, ändert dies nichts am Leid der Hennen. Im Gegenteil, sie könnte das bestehende Ausbeutungssystem sogar zementierten. Dies ist auch das Problem bei der anderen Lösung, dem „Zweinutzungshuhn“: Hier sollen neue Zuchtlinien das Kükentöten beenden. Diese neuen Züchtungen sollen sich sowohl zur Mast als auch zum Eierlegen eignen. Doch auch dies ändert nichts an der grundsätzlichen Ausbeutung der Hühner und dem Tierleid der Hochleistungszucht (1). Denn, wenn die Legeleistung der Hennen nach circa einem Jahr abnimmt, weil sie durch das ständige Eierlegen völlig ausgezehrt sind, werden sie dennoch als „Suppenhühner“ geschlachtet.

Weder die Geschlechtsfrüherkennung im Ei, noch die Züchtung von „Zweinutzungshühnern“ ändert etwas daran, dass alle Hühner, nach einem kurzen Leben als Hochleistungsproduzenten getötet werden.

Ist Mästen vor der Tötung besser?
Und auch wenn die männlichen Küken als Bruderhühner oder „Zweinutzungshühner“ gemästet werden, statt als Embryo getötet zu werden, stellt sich die Frage, ob dies tatsächlich besser für sie ist. Denn es drängt sich der zynische Gedanke auf, ob es für einen Hahn erstrebenswert ist, nach einigen Wochen Turbomästung bei vollem Bewusstsein kopfüber am Schlachtband zu landen und mit etwas Pech ohne Betäubung den Kopf abgeschnitten zu bekommen. Denn genau das wäre die Lebensaussicht eines männlichen Kükens.

Tierfreundlicher Eierkonsum ist eine Illusion
Die Hoffnung der Konsument:innen, dass Hühnereier mit der Aufschrift „ohne Kükentöten“ tierfreundlich seien, entpuppt sich als Illusion. Nur der Verzicht auf Ei- und Hühnerfleischprodukte kann daran etwas daran ändern, dass alle Hühner, ob sie nun Eier legen oder gemästet werden, nach einem kurzen Leben als Hochleistungsproduzenten getötet werden.

Nur Alternativen sind tierleidfrei
Frei von Tierleid sind nur Produkte, die weder Eier noch Hühnerfleisch enthalten. Die gute Nachricht ist: Neben den vielen schmackhaften Alternativen wie vegane Hähnchennuggets oder Filets, sind auch die Entwickler von Ei-Alternativen schon sehr weit. Im Herbst 2023 soll in Deutschland ein Ei auf komplett pflanzlicher Basis auf den Markt kommen, das nach Auskunft des Start-Up Neggst nicht nur aussieht und eingesetzt werden kann wie ein echtes Ei, sondern auch so schmeckt. Außerdem ist es Forscher:innen der Universität Helsinki gelungen, Ovalbumin, das häufigste Protein im Eiklar, in gentechnisch veränderten Pilzen im Labor herzustellen (2). Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis Eier im Labor hergestellt werden können.

(1) Mit der derzeitigen Hochleistungszucht gehen diverse Krankheiten einher, die im höchsten Maße tierschutzrelevant sind. So leidet ein Großteil der Legehennen an Osteoporose, Knochenbrüchen, Brustbeinveränderungen und Erkrankungen des Legeapparates. Bei der davon getrennten Zuchtlinie der Masthühner treten durch das schnelle Wachstum und das enorme Gewicht der Tiere regelmäßig Beinschwäche, Herz-Kreislauferkrankungen und in Kombination mit unzureichenden Haltungsbedingungen Fußballen- und Fersenhöckerentzündungen auf.
(2) www.utopia.de, “Hühner-Eiweiß – aber aus Pilzen? Das soll Wissenschaftler:innen jetzt gelungen sein”, 18.01.22