Europawahl 2019

Schwieriges Verhältnis: Europa und der Tierschutz

Die Tierschutz-Missstände auf EU-Ebene sind im Grunde die gleichen wie auf nationaler. Meist blockieren wirtschaftliche Interessen notwendige Reformen zugunsten der Tiere. Doch dies sollte niemanden davon abhalten, am 26. Mai wählen zu gehen. Denn die EU ist der Schlüssel für mehr Tierschutz und sie hat in der Vergangenheit viel Positives bewirkt.

Misst man die Bedeutung des Tierschutzes an den rechtlichen Vorgaben, müsste der Tierschutz in der EU eine sehr hohe Bedeutung haben. Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union heißt es in Artikel 13: Den „Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen [werde] in vollem Umfang Rechnung“ getragen. Das bedeutet, dass dieser moralische Anspruch allen EU-Rechtsvorschriften zugrunde liegen sollte. Doch dass die Nennung der Tiere in Gesetzestexten nicht automatisch dazu führt, dass sie tatsächlich besser geschützt werden, wissen wir aus leidvoller Erfahrung mit dem Tierschutz im (deutschen) Grundgesetz. Obwohl der Tierschutz seit fast 17 Jahren Staatsziel ist, hat sich in der Praxis für die Tiere so gut wie nichts geändert.

 


Der Tierschutz im Vertrag von Lissabon
„Bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union in den Bereichen Landwirtschaft, Fischerei, Verkehr, Binnenmarkt, Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt tragen die Union und die Mitgliedstaaten den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung; sie berücksichtigen hierbei die Rechts- und Verwaltungsvorschriften und die Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten insbesondere in Bezug auf religiöse Riten, kulturelle Traditionen und das regionale Erbe.“ (Art. 13 AEUV)


 

Klaffen auseinander: Anspruch und Wirklichkeit
Ähnlich ist es auch auf EU-Ebene. Dies gibt die EU sogar selbst zu. Obwohl die Umfragen des Eurobarometers immer wieder belegen, dass die EU-Bürger mehr Tierschutz wollen, kommt die im Januar 2017 veröffentlichte Studie des EU-Parlaments „Tierschutz in der Europäischen Union“ zu dem Ergebnis: Tierschutzpolitik und Gesetzgebung in der EU stagnieren. Die Rechtsvorschriften sind industriefreundlich. Die meisten EU-Gesetze behandeln die Tiere nur als Waren, Produkte oder Eigentum. Absichtliche oder kommerziell motivierte Tierquälerei wird durch die bestehenden Gesetze nicht verhindert. Dies habe nicht nur negative Auswirkungen auf die Tiere, es schade auch dem Vertrauen in die Funktionsweise der EU und ihrem Ruf im Ausland.

Gefordert: EU-Tierschutzgesetz
Doch Donald M. Broom, Biologe an der Cambridge University und Autor der Studie, kam auch zu dem Schluss, dass die EU-Tierschutzpolitik und -gesetzgebung einen großen positiven Einfluss auf Tiere und die Biodiversität weltweit hat. Eine zeitgemäße Tierschutzgesetzgebung verbessere das Image der EU, da es als Indikator für eine zivilisierte Gesellschaft betrachtet würde. Broom empfiehlt die existierenden sowie alle künftigen EU-Rechtsvorschriften dahingehend zu überprüfen, wie sie sich für die Tiere auswirken und sie so zu überarbeiten, dass die Ziele der EU erreicht werden. Als zentral betrachtet er die Ausarbeitung eines EU-Tierschutzgesetzes und spezifischer Gesetze für mehrere Tierarten.

Für viele Arten fehlen Vorschriften
Konkret mahnte er an, dass es immer noch keine Rechtsvorschriften für Kaninchen, Enten, Puten Schafe, Ziegen, Rinder und Fische gäbe. Auch Equiden, Haustiere, Exoten und Wildtiere in Gefangenschaft blieben auf der Strecke. Das zweitwichtigste Tierschutzproblem ist nach seiner Einschätzung das Wohlergehen von Milchkühen. Ihnen folgen Kaninchen und Enten in der die Fleischproduktion sowie Tierqualprodukte wie Gänsestopfleber, Pelz und die Wildtierhaltung in Zirkussen. Chancen für mehr Tierschutz sieht er in der Umstrukturierung der Subventionen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zugunsten von Tierschutzmaßnahmen. Außerdem mahnte er an, dass auf EU-Ebene sowie in den Mitgliedstaaten ausreichend Personal zur Verfügung stehen müsste, um die Gesetze auch durchzusetzen.

Defizite bei Gesetzen und Vollzug
Auch hier haben wir die gleichen Tierschutz-Probleme wie auch auf nationaler Ebene: Es fehlen umfassende und gerichtsfeste Tierschutzrechtsvorschriften und es gibt massive Vollzugsdefizite. Einerseits fehlen wirkungsvolle Gesetze oder die existierenden weisen zu viele Ausnahmen, Einschränkungen und unbestimmte Rechtsbegriffe auf. Der Grund: Bei der Formulierung von Richtlinien und Verordnungen verhandeln 28 Mitgliedstaaten mit völlig unterschiedlichen Vorstellungen miteinander. Das Ergebnis ist oft der kleinste gemeinsame Nenner. Dies drückt das Tierschutzniveau, das den Tiernutzern durch schwammige Formulierungen oft auch noch Hintertüren offenlässt. Andererseits hakt es an der Umsetzung in die nationale Gesetzgebung sowie im nächsten Schritt an der Durchsetzung der Gesetze in den Mitgliedsstaaten.

EU kann Mitgliedstaaten zu mehr Tierschutz zwingen
Trotz der berechtigten Kritik an der EU-Tierschutzpolitik, ist die EU dennoch der Schlüssel für mehr Tierschutz. Denn sie erlässt verpflichtende Verordnungen und Richtlinien, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen. Betrachtet man die Mitgliedstaaten wird schnell klar, dass aufgrund der großen nationalen Unterschiede der Weg zu einem einheitlichen europäischen Tierschutzverständnis weit ist. Doch die EU kann hier entscheidend dazu beitragen, das Schutzniveau in tierschutzpolitisch eher unterentwickelten Ländern aufzuwerten.

Tierversuche: Deutschland muss nachbessern
Beispiel Tierversuche: In ihrem Erwägungsgrundes sagt die EU-Tierversuchsrichtline zwar, dass Tierversuche noch notwendig seien, sie definiert jedoch als letztendliches Ziel, Verfahren mit lebenden Tieren vollständig durch Alternativen zu ersetzen. Bis dahin muss, nach dem Willen der EU, für die eingesetzten Tiere ein möglichst hohes Schutzniveau gewährleistet werden. Da Deutschland die Tierversuchsrichtline nicht korrekt in deutsches Recht umgesetzt hatte, leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Die Bundesregierung muss nun nachbessern und unter anderem das immens wichtige eigenständige Prüfrecht der Genehmigungsbehörden gewährleisten. Auf diesem Weg kann die EU dazu beitragen, den Schutz der Tiere in den Mitgliedstaaten voranzubringen.

EU-Parlament teils tierfreundlich
Das EU-Parlament hat hier eine zentrale Bedeutung, denn es hat erheblichen Einfluss auf die Gesetzgebung. Zudem verfügt es über ein politisches Initiativrecht, das es ihm ermöglicht, Berichte zu erarbeiten und Entschließungen zu verabschieden. Dies ist wichtig, um Diskussionen anzustoßen und institutionelle Entwicklungen voranzubringen. Es veranstaltet zudem öffentliche Anhörungen von Experten zu aktuellen Themen oder Gesetzesinitiativen und kann auf diesem Wege politische Debatten beeinflussen. In der Vergangenheit hat das EP mehrfach eine tierfreundliche Position eingenommen. So forderte der EU-Agrarausschuss Ende Januar, den Tierschutz bei Lebendtier-Transporten zu verbessern

Agrarausschuss gilt als industriefreundlich
In dem Umsetzungsbericht bemängelten die Parlamentarier, dass die 2005 gefasste EU-Tiertransportverordnung unzureichend umgesetzt wird. Die EU-Kommission hat sich bei den Tiertransporten kein Ruhmesblatt verdient. Sie gab noch letztes Jahr zu verstehen, den Export lebender Tiere aus der EU nicht einschränken zu wollen. Federführend bei den Tierschutzthemen sind der Umwelt- und Landwirtschaftsausschuss. Die Stärke der Fraktionen macht sich auch in der Zusammensetzung der für den Tierschutz zuständigen Ausschüsse bemerkbar. So wird der Agrarausschuss derzeit von den Konservativen dominiert, die als industriefreundlich gelten.

EP: mehr Tierschutz bei Tiertransporten
Ein Entschließungsantrag des EPs forderte kürzere Transportzeiten, bessere und unangekündigte Kontrollen und härtere Strafen bei Verstößen. Leider waren auch hier im Hintergrund die Lobbys am Werk und konnten erreichen, dass es keine Begrenzung der Transportzeit auf acht Stunden geben wird. Auch die Anliegen Tiere nicht mehr in Länder außerhalb der EU zu transportieren und Fleisch anstelle lebender Tiere zu transportieren, fand keine Mehrheit. Allerdings sollen die Tierschutzstandards der Drittländer denen der EU angepasst werden, ansonsten soll der Transport verboten sein. Dies könnte ein wichtiger Hebel sein. Trotz der Defizite und obwohl die Entschließung des EPs nicht bindend ist, ist sie ein wichtiges Signal an die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten, die EU-Tiertransportverordnung endlich zu überarbeiten.

Landwirtschaft: Umweltausschuss für mehr Tierschutz
Hoffnung auf Verbesserungen macht auch die Stellungnahme des Umweltausschusses im EU-Parlament (ENVI) zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ab 2021. Der Ausschuss forderte Mitte Februar genau das, was Tier- und Umweltschutzverbände seit Jahren wollen: Eine andere Subventionspolitik. Nach dem Willen des ENVI sollen künftig sollen 15 Milliarden Euro des EU-Agrarbudgets in den Natur- und Artenschutz fließen. Nun liegt es im Agrarausschuss und im Plenum des zukünftigen EU-Parlaments, ob dieser Kurs weiterverfolgt wird (mehr dazu S. XY). Damit sich tatsächlich etwas ändert, müssen die formulierten Tierschutzziele jetzt allerdings dringend konkretisiert werden.

Meilenstein: Verbot von Tierversuchs-Kosmetik
Ein fraglos wichtiger Meilenstein im Kampf gegen die Tierversuche war das 2013 in Kraft getretene EU-weite Vermarktungsverbot für in Tierversuchen getestete Kosmetika. Ein Erfolg, für den viele Organisationen und Tierversuchsgegner gemeinsam gekämpft hatten. Das EU-Parlament sprach sich zudem letztes Jahr für ein weltweites Verbot dieser Versuche aus. Die Abgeordneten forderten die Bildung einer Allianz, um im Rahmen der Vereinten Nationen ein internationales Übereinkommen gegen Tierversuche für kosmetische Mittel zu erreichen. Das Verbot soll nach dem Willen des EPs noch vor 2023 in Kraft treten.

Plan fordert mehr pflanzliches Eiweiß
Zu begrüßen ist auch, dass das Klonen von Tieren zur Nahrungsmittelproduktion in der EU bisher verboten ist. Ebenfalls ein Erfolg war das EU-weite Verbot der Legebatterien ab 2012 und die 2004 eingeführte verpflichtende Haltungskennzeichnung von Schaleneiern. Die Kommission setzte sich auch für mehr Tierschutz in Schlachthöfen ein. Sehr begrüßenswert ist der „EU-Proteinplan 2018“, der die Erzeugung und Verwendung von in der EU erzeugtem pflanzlichem Protein, insbesondere aus Leguminosen unterstützt.

Kein Verbot von Primaten-Versuchen
Es geht darin zwar auch darum, dass Europa unabhängig von Futtermittelimporten wird, doch der Bericht fordert auch eine verstärkte Vermarktung und Produktion von pflanzlichen Eiweißquellen für den menschlichen Verzehr. Doch trotz dieser positiven Beispiele stagniert die Entwicklung in vielen anderen. Es fehlt beispielsweise noch immer ein konkretes Verbot von Primaten-Versuchen. Die langsame Anerkennung von neuen tierfreien Testverfahren bremst die Reduktion von Tieren, die für Unbedenklichkeitsprüfungen von Chemikalien im Rahmen des REACH-Programms sterben müssen und in der aktuellen Verordnung für neuartige Lebensmittel werden Tierversuche als Prüfmethode angegeben.

Zu wenig Effekt: EU-Tierschutzstrategien
Auf dem Papier ist auch die EU-Kommission um mehr Tierschutz bemüht. Sie verabschiedete in der Vergangenheit mehrere Tierschutzstrategien und Aktionspläne und gründete 2017 eine EU-Tierschutzplattform. Vorteil der neu gegründeten Tierschutzplattform soll eine bessere Zusammenarbeit und Vernetzung aller Akteure sein. Dies klingt gut, eröffnet aber die Gefahr, dass konkrete Tierschutz-Verbesserungen weiter hinausgezögert werden. Vorwand ist hier oft, dass weitere wissenschaftliche Belege für das Leiden der Tiere in den aktuellen Haltungssystemen benötigt würden. In den Tierschutzstrategien waren zunächst noch konkrete Gesetzesvorhaben, wie Verbesserungen der Haltungsbedingungen von Rindern und Puten oder kürzere Tiertransportzeiten, vorgesehen. Doch die versprochenen Gesetze kamen nicht. Auch bezüglich der tierquälerischen Ferkelkastration, für deren Ende über eine Million Unterschriften übergeben wurden, ist die Kommission nicht aktiv geworden.

Zukunftsaufgabe: Tierschutz konsequent weiterentwickeln
Es ist zwar grundsätzlich positiv, dass die Kommission neue Instrumente wie Referenzzentren für Schweine, Kaninchen oder Pelztiere schafft, doch sie muss auch ihrem eigenen Anspruch gerecht werden. Diese Zentren dürfen nicht dazu dienen, tierquälerische Haltungsformen festzuschreiben.
Der Europäische Rechnungshof hat empfohlen, die Tierschutzstrategien in diesem Jahr zu bewerten. Das ist sinnvoll, wenn daraus Konsequenzen folgen. Ob Tierschutzstrategie oder Referenzzentrum – die Instrumente müssen messbare Verbesserungen für die Tiere bringen, sonst sind sie ihren
Namen nicht wert. Die EU muss die Ergebnisse ihrer eigenen Studien ernst nehmen. Wenn die bestehenden Gesetze und Instrumente Tierquälerei nicht verhindern, schadet dies dem Vertrauen in die Funktionsweise der EU. Angesichts der aktuellen Krise sollte dies ein zusätzlicher Ansporn sein, die Ansätze für mehr Tierschutz konsequent weiterzuentwickeln.