Der Psychologe, Sachbuchautor und Wissenschaftsjournalist Colin Goldner hat vor Kurzem gemeinsam mit Laura Zodrow das Buch „Zirkus und Zoo – Tiere in der Unterhaltungsindustrie“ veröffentlicht. tierrechte sprach mit ihm über Missstände, die Legitimationsstrategien der Zoos und darüber, wie ein Ausstieg aus dem System Zoo funktionieren könnte.
1. Herr Goldner, Sie haben jüngst ein Buch veröffentlicht, das sich dafür ausspricht, keine Tiere mehr zur „Belustigung von Menschen“ einzusetzen. Dass man Wildtiere in reisenden Zirkusunternehmen nicht annährend „artgerecht“ halten kann, verstehen die meisten Menschen. Umfragen belegen, dass die Mehrheit der Deutschen die Haltung von Wildtieren im Zirkus ablehnt. Doch wie steht es mit den Zoos? Mittlerweile gibt es neue Zoo-Konzepte, in denen die Tiere in größeren naturgetreuen Umgebungen gehalten werden. Gibt es für Sie gute und schlechte Zoos?
Die Gefangenhaltung und Zurschaustellung von Tieren in Zoos ist gesellschaftlich keineswegs in dem Maße akzeptiert, wie die Betreiber derartiger Einrichtungen immer behaupten. Wie eine repräsentative Erhebung des YouGov-Marktforschungsinstituts von Dezember 2015 ergab, ist für knapp die Hälfte der deutschen Bevölkerung (49 %) die Zurschaustellung exotischer Tiere im Zoo moralisch nicht in Ordnung. Nur ein gutes Drittel (37 %) sieht dies anders, der Rest (14 %) hat dazu keine Meinung. Würde die Erhebung heute wiederholt, sähe es für die Zoos vermutlich noch sehr viel düsterer aus: die Besuchszahlen sind seit Jahren massiv rückläufig, was die Zoos mit künstlich nach oben manipulierten Zahlen zu kaschieren suchen.
Selbstredend gibt es bessere und schlechtere Zoos. Aber egal, wie groß und vermeintlich naturnah gestaltet ein Käfig oder Gehege auch ist: Zoos sind und bleiben Gefängnisse, in denen Tiere lebenslang eingesperrt und zum Vergnügen eines zahlenden Publikums zur Schau gestellt werden.
2. Wie viele Zoos gibt es in Deutschland – und sind das viele im Vergleich zu anderen Ländern?
Derzeit gibt es in Europa rund 3000 Zoos und zooähnliche Einrichtungen, weltweit sind es etwa 10.000: allein 865 davon liegen in Deutschland.
Unter den 80 führenden Zoos in Europa, die jeweils mehr als 500.000 Besuche pro Jahr aufweisen,
haben 26 – also fast jeder dritte – ihren Standort in Deutschland. Im Vergleich dazu: in England, dem „Mutterland des Zoos“, gibt es nur 10 vergleichbare Großzoos, in Frankreich 7, in Spanien 3, in Italien 2. In vielen europäischen Ländern gibt es überhaupt keine derartigen Einrichtungen. Deutschland ist das am dichtesten mit Zoos und zooähnlichen Einrichtungen besetzte Land der Erde.
3. Was sind die Hauptprobleme, die bei der Gefangenhaltung von Tieren im Zoo auftreten?
Zootiere leben in Dauerstress. Zusammengepfercht auf ein paar Quadratmeter Käfig- oder Gehegefläche sind sie einem ständigen hin-und-her ausgesetzt zwischen tödlicher Langeweile einerseits, die den immergleichen Alltagsablauf bestimmt und ihnen keine Möglichkeit lässt, arteigenen Bedürfnissen nachzugehen, und der Anspannung andererseits, die die Menschenmassen bedeuten, die, unstet und lärmend, sich Tag für Tag an ihnen vorüberwälzen, ohne dass sie eine Chance hätten, sich zurückziehen oder zu entfliehen. Noch nicht einmal stabile Sozialverhältnisse können sie aufbauen: immer wieder werden gewachsene Familien- und Gruppenstrukturen auseinandergerissen, wenn nach Gutdünken irgendwelcher Zuchtkoordinatoren Tiere quer durch Europa von einem Zoo in einen anderen verschubt oder untereinander ausgetauscht werden.
Auch und gerade Jungtiere werden schon in frühem Kindesalter, spätestens aber mit Eintritt in die Pubertät, von ihren Familien getrennt und an andere Zoos abgegeben, ungeachtet der Frage, welche Traumatisierung das für sie bedeutet; viele zeigen ein Leben lang Symptome von Depression, Angst und/oder posttraumatischer Belastungsstörung. Nicht selten überleben Tiere den ungeheueren Stress, aus ihrem vertrauten Familienverband herausgerissen und mit fremden Tieren zwangsvergesellschaftet zu werden, nicht: trotz entsprechender Medikation erliegen sie Herzversagen, Kreislaufzusammenbrüchen etc. Die Zoos werten solche Fälle als „unerklärlich“ und bestellen sich Ersatz.
4. Was ist unter „kognitiver Anreicherung“ zu verstehen?
Vor dem Hintergrund zunehmender Kritik an den Haltungsbedingungen von Zootieren wurde Ende der 1990er in den USA das Konzept des sogenannten „Behavioral Enrichment“ entwickelt, das Ideen vorstellte, wie der Langeweile der Tiere (bzw. dem für Besucher unattraktiven Anblick sich langweilender Tiere) durch „Anreicherung“ der Käfige und Gehege entgegengewirkt werden könne.
Auch hierzulande werden seit geraumer Zeit Vorkehrungen getroffen, die Haltungsbedingungen der Tiere abwechslungsreicher und damit anregender zu gestalten. Es geht dabei um Anreicherung 1. des physischen Lebensraumes, so dass die Tiere zu körperlicher Betätigung angeregt werden; 2. der sozialen Kontaktmöglichkeiten, so dass das Verhaltensrepertoire der Tiere erweitert wird; und 3. der Spiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten, so dass die Tiere kognitive Anregung erfahren. In der Praxis findet das „Enrichment“ allerdings nur bei ein paar wenigen Tierarten statt (Menschenaffen, Elefanten, Großkatzen etc.), die meisten Tiere werden wie seit je in viel zu kleinen und keinerlei Anregung bietenden Käfigen gehalten, vielerorts immer noch auf nacktem Beton oder in vollverkachelten Betonbunkern.
Das „Enrichment“ des Lebensraumes beschränkt sich in aller Regel auf die Ausstattung der Gehege mit Totholzstämmen, Gerüsten aus Holz oder Stahlrohr, erhöhten Podesten, aufgehängten LKW-Reifen oder Plastiktonnen etc.; die Bereicherung des sozialen Verhaltensrepertoires besteht darin, Tiere verschiedener Spezies in ein und demselben Gehege zusammenzusperren. Vielfach nehmen die dergestalt „vergesellschafteten“ Tiere, deren Lebenswege sich in freier Wildbahn nie kreuzen würden, keinerlei Notiz voneinander. Der Vorteil solcher „Vergesellschaftung“ liegt in erster Linie im Blick der Besucher, die ein „lebendigeres“ und damit „attraktiveres“ Bild zu sehen bekommen. Zu kognitiver Anregung werden den Tieren ausrangierte Decken, Fußbälle, Gummistiefel etc. zur Verfügung gestellt.
5. Auch in Zoos, denen eine relativ gute Tierhaltung nachgesagt wird, wie der Kölner Zoo, sterben viele Tiere vorzeitig oder müssen getötet werden. Wie hoch sind die Verluste?
Zoos verlieren jährlich im Durchschnitt 20 bis 25 Prozent ihrer Tierbestände. Die erste Tätigkeit der Tierpfleger bei Schichtbeginn ist die Durchsicht des Reviers auf Todesfälle, die über Nacht eingetreten sind, sowie die Entfernung der toten Tiere aus dem Sichtfeld der Besucher.
6. Wie lässt sich diese hohe Todesrate begründen?
Die hohen Verluste erklären sich zum einen durch die widernatürlichen Umstände, unter denen die Tiere in Zoos gehalten werden, angefangen vom hiesigen Klima, das dem Immunsystem aus anderen Regionen stammender Tiere erheblich zusetzt, hin zu den vielfach extrem beengten Verhältnissen, unter denen sie in Gitterkäfigen und vollverfliesten Betonbunkern zusammengepfercht sind.
Zum anderen ist die veterinärmedizinische Versorgung der Zootiere alles andere als optimal. Weit mehr noch als das Leitungs- und Tierpflegepersonal unterliegen die für und in Zoos tätigen Tierärzte dem Problem, mit Tieren so vieler grundverschiedener Arten konfrontiert zu sein, dass sie für eine angemessene Versorgung jeder einzelnen Art unmöglich ausreichend qualifiziert sein können. (Mehr dazu lesen Sie hier).
7. Nach welchen gesetzlichen Grundlagen werden Tiere heute in Zoos gehalten? Wie bewerten Sie diese?
Neben den allgemeinen Vorschriften nach § 2 Tierschutzgesetz (TierSchG), dass derjenige, der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, 1. das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen muss, 2. die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken darf, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden, und 3. über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen muss, gelten für Zoos die Vorschriften nach § 42 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG).
Denen zufolge muss die Unterbringung der Tiere so beschaffen sein, dass bei der Haltung der Tiere den biologischen und den Erhaltungsbedürfnissen der jeweiligen Art Rechnung getragen wird und insbesondere die jeweiligen Gehege hinsichtlich Lage, Größe, Strukturierung und innerer Einrichtung art- und tiergerecht ausgestaltet sind. Hinzu kommen ein paar weitere Vorgaben, die indes, wie auch die genannten Vorschriften, so ungegenständlich formuliert sind, dass sie den zuständigen Genehmigungs- und Kontrollbehörden größten Ermessensspielraum belassen bzw. von Zoobetreibern auch gezielt unterlaufen werden können.
Spezifische Vorgaben für die Haltung von Säugetieren in Zoos existieren nur in Form eines rechtsunverbindlichen „Gutachtens“, das das zuständige Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMELV) in Konkretisierung von § 2 TierSchG im Jahre 1996 herausgegeben und 2014 novelliert hat. Seiner Rechtsunverbindlichkeit wegen gilt das Gutachten sowohl den Kontrollbehörden als auch den Zoos allenfalls als Orientierungshilfe. Vergleichbare Vorgaben für die Haltung von Nicht-Säugetieren in Zoos gibt es nicht.
8. Der Schweizer Zoodirektor Heini Hediger hat 1977 vier Säulen der Arbeitsbereiche von Zoos formuliert. Dies sind: 1. Bildung, 2. Forschung, 3. Artenschutz und 4. Erholung. Welchen Zweck verfolgte er damit?
Während Zoos sich seit ihren Gründertagen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einem von Kritik weitgehend unangetasteten Freiraum bewegen konnten, gerieten sie Mitte der 1970er unter massiven Rechtfertigungsdruck: im Zuge des Washingtoner Artenschutzübereinkommens (CITES) von 1973, das den bis dahin völlig unkontrollierten Handel mit vom Aussterben bedrohten Tierarten erheblich einschränkte, trat erstmalig ins öffentliche Bewusstsein, welch enormen Anteil die für Zoos getätigten Wildfänge daran hatten, dass viele dieser Tierarten überhaupt erst an den Rand des Aussterbens gebracht worden waren. Erstmals wurde auch Kritik an den durchwegs katastrophalen Haltungsbedingungen der Tiere in den Zoos geäußert.
In Italien bildete sich eine unerwartet breite Front an Zoogegnern, die argumentative Unterstützung fand in dem 1975 erschienenen Grundlagenbuch Animal Liberation von Peter Singer. Mitgetragen von den wichtigsten Medien des Landes erhoben zahlreiche Intellektuelle und Kulturschaffende ihre Stimme gegen die „Kulturschande Zoo“. Selbst alteingesessene Zoos wie die von Turin oder Mailand gerieten derart unter medialen Beschuss, dass sie sich gezwungen sahen, ihren Betrieb einzustellen; auch viele kleinere Provinzzoos mussten schließen.
Vor dem Hintergrund der anhaltenden Kritik in Italien, die sich schnell auch auf England ausweitete, verfiel man den Chefetagen der europäischen Zoos in zunehmende Nervosität. Mit teils hektisch in Angriff genommenen Um- und Neubaumaßnahmen suchte man die eklatantesten Missstände in den Zoos zu beseitigen bzw. zu kaschieren, wobei es augenfällig weniger um Verbesserung der Haltungsbedingungen der Tiere ging, als vielmehr um eine Verbesserung des Erscheinungsbildes, das die Zoos abgaben. .
Parallel zur Umgestaltung der Zoos wurde eine kollektive Abwehrstrategie gegen Kritik von außen entwickelt. Unter Rückgriff auf einen 1977 von dem schweizerischen Zoodirektor Heini Hediger formulierten Aufgabenkatalog des modernen Zoos – Hediger hatte als einer der ersten die existentielle Bedrohung der Zoos erkannt – verständigte man sich darauf, Zoos hinfort als auf besagten vier Säulen stehend zu präsentieren. Zur Verankerung der neukonstruierten Selbstlegitimation in den Köpfen der Menschen wurde eine gigantische Propagandaoffensive gestartet, die bis heute fortdauert und wesentlich dazu beigetragen hat, dass Zoos in weiten Teilen der Bevölkerung immer noch als „normal“, „richtig“ und sogar „notwendig“ angesehen werden.
9. Das meistgenannte Argument, mit dem Zoos ihre Existenz rechtfertigen, ist die Behauptung, sie trügen zur Bildung der Besucher bei. Als „größte außerschulische Bildungseinrichtungen“ würden sie jährlich zigMillionen an Menschen erreichen, denen sie wertvolle Tier- und Artenkenntnisse vermittelten. Stimmt das denn?
Tatsächlich leisten die Zoos mit Blick auf ihren vorgeblichen Bildungsauftrag weit weniger als sie behaupten: Studien zeigen, dass die Besucher kaum mehr über Tiere wissen als Menschen, die sich überhaupt nicht für Tiere interessieren und noch nie in einem Zoo waren. Die durchschnittliche Verweildauer der Besucher vor den einzelnen Gehegen liegt, unabhängig von der Art und Anzahl darin gehaltener Tiere, bei unter einer Minute pro Käfig. Lediglich während der Fütterungszeiten liegt sie etwas höher, oder wenn ein Jungtier zu sehen ist. Viele Besucher werfen nur im Vorübergehen einen Blick auf die Tiere; allenfalls bleiben sie kurz stehen, um ein Selfie mit Tier im Hintergrund zu machen. Zoos bringen den Menschen die Tiere nicht näher, ganz im Gegenteil. Wie auch sollte man die Information auf einer Tafel, Geparden seien die „schnellsten Landsäugetiere, mit Spitzengeschwindigkeiten von über 110 Stundenkilometern“ übereinbringen mit dem Tier, das da einsam und in stereotyp immergleicher Bewegung am Gitter eines wenige Quadratmeter umfassenden Käfigs hin und her läuft?
Auch wenn Zoos von sich behaupten, es gebe keinen Lernort, an dem man Natur besser beobachten und verstehen lernen könne, ist doch das genaue Gegenteil der Fall: Zoos eignen sich zu nichts weniger, als einen sinnfälligen Bezug zur Natur herzustellen. Vielmehr werden die Zoobesucher systematisch dazu angeleitet, die in Käfigen und Betonbunkern vorgeführten Zerrbilder, Klischees und Karikaturen von Natur als Natur selbst zu verkennen. Ebendeshalb fällt ihnen auch das Leid der eingesperrten, ihrer Freiheit und Würde beraubten Tiere nicht auf: Sie lernen, das Widernatürliche als das Natürliche zu sehen. Allenfalls regen Zoos die Besucher dazu an, sich selbst Käfige, Terrarien oder Aquarien anzuschaffen und exotische Wildtiere – Affen, Papageien, Geckos, Zierfische etc. – als Dekoelemente ins heimische Wohnzimmer zu stellen. Nicht selten werden insofern von den Zoos selbst „überzählige“ Tiere an private Halter veräußert.
10. Viele Zoos bezeichnen sich nach den vier Säulen als wissenschaftsorientierte Forschungseinrichtungen. Deckt sich dies mit Ihren Recherchen?
Zoos beschreiben sich ausdrücklich als wissenschaftsorientierte Forschungseinrichtungen. Bei näherer Hinsicht bleibt indes auch von diesem Anspruch nicht viel übrig. Tatsächlich richten die Zoos ihr Forschungsinteresse – sofern sie denn welches haben – in erster Linie auf zoospezifische, teils auch nur auf rein innerbetriebliche Belange, wie z.B. Lenkung von Besucherströmen an besonders besuchsintensiven Tagen wie Ostern oder Pfingsten (ganz abgesehen davon, dass sie meist gar nicht selbst forschen, sondern studentische Projekt-, Haus- oder Abschlussarbeiten, für die sie allenfalls das Studienobjekt abgeben, als Ausweis eigener Forschertätigkeit reklamieren). Vielfach geht es dabei um Fragen und Probleme, die es ohne Zoo gar nicht gäbe (z.B. das Problem der Odontogenen Dysplasie bei Steppenlemmingen, sprich: eine Form der Zahnmissbildung, die nur bei Lemmingen in Zoogefangenschaft auftritt). Der über den Zoo hinausreichende wissenschaftliche Wert der jeweiligen Arbeiten ist in aller Regel denkbar gering.
Gleichwohl – und in streckenweise grotesker Manier – versuchen die Zoos, wissenschaftlich zu erscheinen. Die nachgerade zwanghafte Fixation auf das Etikett der „Wissenschaftlichkeit“ – selbst Zoos, die noch nie eine wissenschaftliche Erhebung durchgeführt, geschweige denn: ein wissenschaftliches Papier veröffentlicht haben, beharren darauf, „wissenschaftlich“ geleitet zu sein – hat zwei simple Gründe: Zum einen verschafft die Behauptung, wissenschaftliche Forschung zu betreiben, den Zoos eine Art Metalegitimierung, die sie gegen Kritik immunisiert, reine Vergnügungsparks auf Kosten eingesperrter Tiere zu sein.
Zum anderen bedeutet der Betrieb eines Zoos unter dem Signet der „Wissenschaftlichkeit“ die einzige Möglichkeit, Tiere bedrohter Arten aus dem Ausland zu beziehen (bzw. ins Ausland abzugeben): Tiere, die den CITES-Regularien unterliegen dürfen über Ländergrenzen hinweg nur gehandelt, gemakelt oder von Zoos untereinander ausgetauscht werden, wenn behördliche Aus- und Einfuhrgenehmigungen vorliegen und kein kommerzielles Interesse damit verfolgt wird. Nur wenn der Handel „wissenschaftlichen Forschungszwecken“ dient, können entsprechende Genehmigungen erteilt werden. „Wissenschaftlich geleitete“ Zoos erhalten die erforderlichen CITES-Papiere regelmäßig und für jedes auf dem Markt verfügliche bzw. zu veräußernde Tier.
11. Was leisten die Erhaltungs-, Auswilderungs- und Wiederansiedlungsprogramme der Zoos tatsächlich?
Die Behauptung der Zoos, der rapide schwindenden Artenvielfalt durch Erhaltungszucht bedrohter Arten entgegenzuwirken, hält kritischer Überprüfung nicht stand. Aus deutschen Zoos heraus werden sogenannte Erhaltungszuchtprogramme nur für ein paar wenige Arten betrieben, und für noch sehr viel weniger davon gibt es Auswilderungs- oder Wiederansiedelungsprojekte: Alpensteinbock, Bartgeier, Przewalskipferd, Wildesel und ein paar andere, sprich: für einen winzigen Prozentsatz der bedrohten Arten. Und keines dieser Projekte arbeitet so erfolgreich oder erfolgversprechend, wie der Öffentlichkeit weisgemacht werden soll.
Für die überwiegende Mehrzahl in Zoos nachgezüchteter Arten ist Auswilderung ohnehin weder vorgesehen noch möglich. Zoos züchten für Zoos nach, die paar wenigen Auswilderungsprojekte sind reines Greenwashing. Der Zoo Dortmund zum Beispiel weist gerne auf sein umfängliches Auswilderungsprogramm hin. Tatsächlich hat er seit 1991 nicht mehr getan, als einer externen Auswilderungsstation auf den Kanarischen Inseln fünf im Zoo geschlüpfte Bartgeier zur Verfügung zu stellen. Weitere Wiederansiedelungen oder Auswilderungen, an denen der Zoo Dortmund beteiligt gewesen wäre, gab und gibt es ausweislich seiner eigenen Website nicht. Im Übrigen gibt es in 90 Prozent der Zoos und zooähnlichen Einrichtungen hierzulande überhaupt kein Erhaltungszucht- und/oder Auswilderungsprogramm.
Tatsächlich lässt sich die Zahl der aus Zoos ausgewilderten Tiere und Arten an ein paar Händen abzählen, sie spielt im Vergleich zur Zahl der Tiere und Arten, die bis heute der freien Wildbahn entnommen werden, überhaupt keine Rolle. Wollte man überhaupt an „Erhaltungszucht“ denken, wäre diese allenfalls aus Reservaten heraus sinnvoll, in denen die Tiere nicht wie in Zoos ihrer eigenständigen Überlebensfähigkeit beraubt, sondern gezielt auf ein Leben im Freiland vorbereitet würden.
12. Wieviel der Spendengelder, die Zoos für Artenschutzprojekte in den Herkunftsländern sammeln, kommen tatsächlich dort an?
In vielen Zoos gibt es sogenannte „Spendentrichter“, in die Kinder gern Münzen rollen lassen. Es handelt sich dabei um reine „Spaßgeräte“ für den Nachwuchs. Die Erwachsenen bekommen zusätzlich das Gefühl, etwas für den Zoo – und damit vielleicht auch für den Tier-, Arten- und Naturschutz – gespendet zu haben. Viel kommt dabei aber nicht zusammen. Da rollen vor allem Fünf- bis 20-Cent-Münzen. Etwas anderes sind die symbolischen Patenschaften, die je nach Attraktivität des ausgewählten Tieres unterschiedlich teuer sind. Für einen Schimpansen kann eine Patenschaft schon mal 1000 Euro im Jahr kosten, ein Erdmännchen gibt’s schon für 50 Euro. Dafür werden die Spender online gewürdigt, Großspender werden auf den Gehegetafeln aufgeführt. Zudem existieren Förder- und Spendensammelvereine, in denen häufig Politprominente engagiert sind. Angela Merkel beispielsweise macht sich für den Zoo Stralsund stark, der in ihrem Wahlkreis liegt.
Wieviel der gesammelten Spendengelder an irgendwelche Artenschutzprojekte in situ weitergeleitet wird, läßt sich nicht beziffern. Ein Blick in die Jahresberichte der einzelnen Zoos zeigt jedoch, dass die für externe Projekte aufgewandten Fördermittel allenfalls im Promillebereich der hauseigenen Werbebudgets liegen. Im Jahr 2011 etwa gab es eine auf zwölf Monate ausgelegte Kampagne zur Unterstützung verschiedener Schutzprojekte für Menschenaffen, an der sich 300 europäische Zoos beteiligten. Der Münchner Tierpark Hellabrunn, der werbewirksam an der Kampagne teilnahm, steuerte letztlich die vergleichsweise lächerliche Summe von 3797 Euro bei, und dies bei einem Gesamtjahresumsatz im zweistelligen Millionenbereich.
13. Zoobefürworter sehen die Tiere im Zoo als Botschafter ihrer Art, die die Besucher mit allen Sinnen erleben können. Sie sollen die Besucher für Arten-, Natur- und Umweltschutz sensibilisieren. Was halten Sie von dieser Aussage?
Die Behauptung, die gefangengehaltenen und zur Schau gestellten Tiere dienten als „Botschafter ihrer Art“ dazu, die Menschen zu sensibilisieren und zu einem anderen Umgang mit der Natur anzuregen, zählt zu den groteskesten Verrenkungen, mit denen Zoos ihre Existenz zu rechtfertigen suchen. Bezeichnenderweise wird weder erklärt, wie genau solcher Transfer vonstatten gehen soll, noch gibt es einen Anhaltspunkt, worin das neugewonnene Engagement der Zoobesucher zum Schutz von Tieren in freier Wildbahn denn im Einzelnen bestehen solle.
Tatsächlich hat die Zurschaustellung etwa des Eisbären KNUT im Berliner Zoo allenfalls die Zookasse zum Klingeln gebracht und vielleicht noch die Plüschtierindustrie angekurbelt, mit Blick auf den Schutz der Arktis und ihrer Bewohner hat sie nicht das Geringste bewirkt. Ebensowenig wurde die fortschreitende Vernichtung der afrikanischen oder indonesischen Regenwälder aufgehalten dadurch, dass seit über hundert Jahren Gorillas und Orang Utans in Zoos zu besichtigen sind. Wäre es denn so, wie die Zoos behaupten, müssten sich heute zigMillionen Menschen, die als Kinder Zoos besuchten, für den Schutz der Tiere in ihren natürlichen Heimaten einsetzen. Was bekanntermaßen nicht der Fall ist.
Tatsächlich werden die Zoobesucher den Tieren gegenüber nicht sensibilisiert, sondern systematisch desensibilisiert. Mit allen zu Gebote stehenden Mitteln suchen die Zoos zu verhindern, dass den Besuchern das Leid der eingesperrten Tiere ins Gewahrsein tritt. Zunehmend werden die Tiere in Kulissen präsentiert, die dem Besucher vorgaukeln sollen, sie befänden sich in ihren natürlichen Heimaten. Die gefangengehaltenen Tiere haben von den vielfach nur auf die Betonwände aufgemalten Dschungelmotiven überhaupt nichts, auch werden ihre Gehege dadurch nicht größer, dass sie in „zeitgemäß“ ausgestatteten Zoos mit Panzerglas und Elektrozäunen statt mit Eisengittern begrenzt sind.
14. Die Tötung und Verfütterung des Giraffenbullen MARIUS im Zoo Kopenhagen führte 2014 zu einem Sturm der Entrüstung. Nach dem Tierschutzgesetz ist es Zoos – mit Ausnahmen von sogenannten Futtertieren – verboten, Tiere zu töten. Was passiert tatsächlich mit überzähligen Jungtieren?
Anfang 2016 verlautbarte der Direktor des Nürnberger Tiergartens, er habe im Vorjahr sechzig „überzählige“ Zootiere töten lassen. Es war diese Verlautbarung unschwer als gezielt eingesetzter „Versuchsballon“ zu erkennen gewesen, über den die Reaktion der Öffentlichkeit ausgelotet werden sollte.
Da deutsche Zoos gemäß den Bestimmungen des Tierschutzgesetzes (TierSchG) keine Tiere töten dürfen – mit Ausnahme eigens gezüchteter „Futtertiere“ (Mäuse, Hamster, Kaninchen, Schafe, Ziegen etc., auch größere Huftiere und bestimmte Vögel, die alljährlich in millionenfacher Zahl in den Zoos getötet werden) -, fordern sie seit Jahren über ihren Dachverband VdZ eine rechtliche Befugnis, „überzählige“ Tiere auch anderer Arten nach Bedarf und Gutdünken töten und ggf. auch verfüttern zu dürfen. Da gemäß § 17 Nr 1 TierSchG das Töten von Tieren indes nur bei Vorliegen eines „vernünftigen Grundes“ erlaubt ist, plädiert der VdZ dafür, die Notwendigkeit des „Populationsmanagements“ als ebensolchen Grund für die Tötung von Zootieren anzuerkennen.
Schon zu früherem Zeitpunkt hatte der Nürnberger Tiergartendirektor Encke geschrieben, es sei „im Sinne einer artgemäßen Haltung der Tiere die Bereitschaft zur Tötung überzähliger Tiere ein den natürlichen Verhältnissen entsprechender, verantwortungsvoller und damit ethisch-moralisch einwandfreier Weg.“
Zeitgleich mit der Tötung des vorgeblich nicht „reinrassigen“ bzw. „nicht ins Zuchtprogramm passenden“ Giraffenjungbullen Marius im Zoo von Kopenhagen im Frühjahr 2014 – in Dänemark ist das Schlachten und Verfüttern von Zootieren prinzipiell erlaubt -, hatte der VdZ seine Forderung nach einer insofern „klareren Auslegung“ des TierSchG bekräftigt. Es geht dem VdZ um nichts weniger als den Versuch, das mühsam erkämpfte Tierschutzrecht außer Kraft setzen, um willkürlich nachgezüchtete und irgendwann „überzählige“ Zootiere legal töten und an andere Zootiere verfüttern oder sonstwie entsorgen zu dürfen. Bis heute werden „überflüssig“ oder „unbrauchbar“ gewordene Zootiere, die ihre Aufgabe als Publikumsmagneten erfüllt haben, an externe Tierhändler verkauft, die sie an andere Zoos, aber auch an Gourmetrestaurants, Privatleute, Zirkusse, Versuchslabore oder ins Ausland weiterverscherbeln. Vielfach landen die Tiere auch bei Tierpräparatoren und Trophäenherstellern. Die Zoos bewegen sich dabei in einer tierschutzrechtlichen Grauzone.
15. Das Flusspferd Maikel aus dem Frankfurter Zoo starb, weil ihm ein Besucher einen Tennisball in den Rachen geworfen hatte. Kommt so etwas öfter vor?
In den Zoos sterben immer wieder Tiere, weil die Besucher ihnen irgendwelches Zeug in die Gehege werfen, halbe Bratwürste, Hamburger, Kaugummis, Zigarettenkippen, Bierdosen. In die Becken von Seelöwen, Seebären oder Krokodilen werfen die Leute immer wieder Geldstücke, weil das angeblich Glück bringt. In den Mägen der Tiere entdecken die Tierärzte nach deren Tod manchmal Hunderte von Münzen.
16. Was kann den Tieren sonst noch gefährlich werden?
Von den Besucherwegen aus können Gegenstände auch unbeabsichtigt in die Gehege fallen, die von den Tieren verschluckt werden: Schnuller, Brillen, Mützen, Smartphones. Oder wie im Eisbärengehege in der Stuttgarter Wilhelma vor gar nicht so langer Zeit eine Jacke und ein Rucksack. Der Eisbär Anton hat die Sachen gefressen und ist daran gestorben. In Affengehegen haben sich schon Tiere mit Kletterseilen erhängt.
Für Menschenaffen und auch für andere große Tiere sind Wassergräben, mit denen die Gehege umgrenzt sind, schon wiederholt zur Todesfalle geworden. Im Münchner Tierpark Hellabrun ist vor ein paar Jahren Schimpansin Püppi in den Graben gerutscht und ertrunken. Im Tierpark Hagenbeck in Hamburg ist Orang Utan-Mädchen Leila auf die gleiche Weise gestorben.
Trotz aller Sicherungsmaßnahmen gelingt es Zootieren immer wieder, aus ihren Käfigen und Gehegen zu entfliehen. Nicht selten bezahlen sie dies mit ihrem Leben: können sie nicht problemlos wieder eingefangen werden, werden sie kurzerhand von Zoopersonal erschossen. 2015 starb Orang Utan Nieas im Zoo Duisburg auf diese Weise, 2016 Junglöwe Motshegetsi im Zoo Leipzig, 2017 Bärin Tips im Zoo Osnabrück… In sämtlichen Zoos werden insofern großkalibrige Gewehre und Handfeuerwaffen vorgehalten.
17. Von Risiken ist in Zusammenhang mit Zoos selten die Rede – wird das Gefährdungspotential unterschätzt?
Ein kaum in öffentlichem Gewahrsein stehendes Problem der Haltung von Wildtieren in Zoos ist das für alle Beteiligten verbundene Infektionsrisiko. Sowohl das Zoopersonal als auch die Besucher unterliegen der steten Gefahr, sich bei einem der Tiere mit einer infektiösen Krankheit anzustecken; wie umgekehrt auch die Tiere Gefahr laufen, von einem Menschen angesteckt zu werden. Derzeit sind etwa 200 zoonotische Erkrankungen bekannt, die, verursacht durch Viren, Bakterien, Pilze, Parasiten oder pathogene Prionen, vom Tier auf den Menschen und vom Menschen auf das Tier übertragen werden können. Infektionen können sich mithin dadurch verbreiten, dass Besucher den Tieren Nahrungsmittel zuwerfen bzw. von diesen bespuckt, mit Urin bespritzt oder mit Kot beworfen werden. Kleinkinder sind insofern besonders gefährdet.
Nur selten dringen zoonotische Erkrankungsfälle an die Öffentlichkeit. Ehemalige Zoomitarbeiter sprechen von immer wieder auftretenden „Seuchen“, bei denen vor allem darauf geachtet werde, dass die Öffentlichkeit nichts erfahre. Vor ein paar Jahren etwa brach bei den Bonobos des Berliner Zoos aus nicht bekanntem bzw. nicht bekannt gegebenem Grunde eine hochinfektiöse Shigellose – besser bekannt als Bakterienruhr – aus, an der sämtliche Tiere erkrankten; erst eine Woche später und erst, nachdem zwei Pfleger sich angesteckt hatten, wurde die Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt. Die Bakterienruhr zählt zu den meldepflichtigen Erkrankungen, sie kann bei Mensch und Menschenaffe tödlich verlaufen.
18. Der Verband der Zoologischen Gärten (VdZ) behauptet, die Zoos zögen jedes Jahr 65 Millionen Besucher an. Dies klingt danach, als ob immer noch sehr viele Menschen in den Zoo gehen….
Kaum ein Zoo des deutschsprachigen Raumes wirtschaftet kostendeckend. Dass die einzelnen Einrichtungen für ihren Fortbestand auf Sponsorengelder wie auch auf Dauersubvention aus Steuermitteln angewiesen sind, ist insofern bekannt. Es nimmt deshalb auch nicht wunder, dass sie, um ihre gesellschaftliche Bedeutung und Attraktivität zu unterstreichen, mit geschönten Besucherzahlen operieren.
Die vielkolportierten Behauptungen des VdZ, allein die deutschen Zoos zögen Jahr für Jahr rund 65 Millionen Besucher an, haben einen geflissentlich übersehenen Haken: viele Menschen besuchen ein und denselben Zoo per Dauerkarte mehrfach pro Jahr, manche kommen regelmäßig jede Woche (oder gar täglich!) und/oder suchen reihum verschiedene Zoos auf, so dass die Zahl zoobesuchender Menschen tatsächlich nur einen Bruchteil der Zahl registrierter Zoobesuche ausmacht: Statten von den behaupteten 65 Millionen Besuchern pro Jahr nur fünf Prozent monatlich einen Zoobesuch ab – eine konservative Schätzung -, verringert sich die Zahl der Menschen, die jährlich Zoos besuchen, schlagartig um mehr als die Hälfte.Tatsächlich liegt die Zahl der Zoobesucherinnen und Zoobesucher bei weit unter einem Viertel dessen, was der VdZ angibt. Und dies mit deutlich abnehmender Tendenz. Neuerdings hat der VdZ seine Behauptungen erheblich heruntergeschraubt und spricht nur noch von 40 Mio Besuchen.
Im Übrigen ist die immer wieder vorgetragene Behauptung, Zoos seien wichtige Attraktionsfaktoren für eine Stadt oder Region, die über Umwegrentabilität – Stärkung von Einzelhandel, Hotel- und Gaststättengewerbe – die ihnen zuteil werdende Subventionierung rechtfertigten, nachweislich falsch: Aus tourismuspolitischer Sicht machen Zoos, selbst wenn die halluzinierten Besucherzahlen des VdZ zugrunde gelegt werden, keinen Sinn. Gleichwohl werden sie von Kommunal- und Landespolitikern über das Argument der Umwegrentabilität mit Millionenbeträgen aus Steuergeldern gefördert.
19. Herr Goldner, für den Ausstieg aus dem Tierversuch fordern wir beispielsweise einen strategischen Abbauplan. Wäre ein Masterplan auch für den Ausstieg aus dem System Zoo geeignet?
Die Gefangenhaltung und Zurschaustellung von Tieren in Zoos sollte auslaufen, wozu es zunächst entsprechend gesellschaftlichen bzw. politischen Bewußtseins und Willens bedarf. Ein Masterplan wäre schnell formuliert: keine Nachzuchten und keine Neuimporte mehr. Da Zoos jährlich ein Fünftel bis ein Viertel ihrer Tierbestände verlieren, könnten theoretisch sämtliche zoologischen Gärten dieser Welt in vier bis fünf Jahren geschlossen werden, wenn denn konsequent auf Nachzucht und Neuimport verzichtet würde. Nur relativ wenige Tiere längerlebiger Arten blieben über, die, sofern nicht auswilderbar, in ausgewählten und zu Sanctuaries umgewandelten Zoos bzw. in eigens zu schaffenden Refugien untergebracht werden könnten.
21. Neben einer Unterbringung der Tiere in geeignete Refugien, wäre auch zu überlegen, ob man die grundsätzlich positiven Aufgaben der Zoos, wie Artenschutz, Habitat-Erhalt, Bildungsauftrag etc. nicht nutzen könnte, um sie effektiv für die Tiere einzusetzen. Ehemalige Zoos könnten zum Beispiel zu Artenschutz- und Bildungszentren (ohne Wildtiere) werden….
Auch wenn die genannten Aufgaben in den Zoorichtlinien nach § 42 (3) des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) so formuliert sind, werden sie von den Zoos nicht oder nicht hinreichend erfüllt. Gleichwohl könnte die vorhandene Infrastruktur der Zoos genutzt werden, um tatsächlich dem Tier-, Natur- und Artenschutz dienlich zu sein. Die zoologischen Gärten könnten nach dem Vorbild Costa Ricas in botanische Gärten oder Ökoparks umgewandelt werden, in denen gestresste Städter sich weiterhin erholen und entspannen könnten. Zudem könnten die Anlagen genutzt werden, um Tieren in Not zu helfen: viele exotische wie auch einheimische Wildtiere – Kleinsäuger, Vögel, Reptilien, Amphibien oder Spinnen – werden beschlagnahmt oder landen in Tierheimen, weil ihre Besitzer sie nicht mehr halten können oder wollen. Hier könnten vormalige Zoos als Auffang-, Rehabilitations- und Wiederauswilderungszentren dienen, finanziert aus öffentlichen Mitteln, die nun nicht mehr zur Subvention des Zoobetriebes benötigt würden. Im Übrigen könnten freiwerdende Subventionsgelder in den Ausbau von Schutzzonen in den natürlichen Heimaten der Tiere fließen, womit wirklicher Tier-, Natur- und Artenschutz betrieben würde.
22. Welche Bedeutung könnte der Fall Cecilia haben, einer Schimpansin, der 2016 von einem argentinischen Gericht besondere Grundrechte zugestanden wurden?
In einer bahnbrechenden Entscheidung vom 3. November 2016 erklärte ein argentinisches Gericht, eine im Zoo der Provinzhauptstadt Mendoza lebende Schimpansin namens Cecilia sei keine Sache, die der Zoo besitzen könne, sondern Rechtssubjekt, sprich: eine nicht-menschliche Person, die ebendeshalb umgehend aus der Gefangenhaltung zu entlassen sei. Hintergrund der höchstrichterlichen Entscheidung war eine Klage, die durch die argentinische Tierrechtsorganisation Association of Officials and Lawyers for Animal Rights (AFADA) eingereicht wurde. In Zusammenwirken mit dem International Great Ape Project argumentierte AFADA, die Umstände der Haltung Cecilias im Zoo – die etwa 35jährige Schimpansin lebte seit dem Tod ihrer beiden Artgenossen alleine – seien nicht nur gesetzeswidrig, sondern auch Ursache ihres sich rapide verschlechternden Gesundheitszustandes .
Das Gericht betonte, auch nicht-menschliche Tiere besäßen abgestufte Rechte, insbesondere über die der jeweiligen Spezies zukommenden Rechte auf Selbstentfaltung und auf Leben in ihrem natürlichen Lebensumfeld. Es wurde die sofortige Freilassung der Schimpansin verfügt, die, in Absprache mit den zuständigen Umweltministerien, in das drei Flugstunden entfernte Menschenaffenrefugium des Great Ape Project im brasilianischen Sorocaba umziehen konnte. Eine Auswilderung in ihre natürliche Heimat war ausgeschlossen: auf sich gestellt hätte sie nach Jahrzehnten Zoogefangenschaft nicht überleben können.
Eine vergleichbare Initiative, Großen Menschenaffen – Orang Utans, Gorillas, Schimpansen und Bonobos – bestimmte Grundrechte zuzuerkennen, war 2014 von der deutschen Sektion des Great Ape Project auf den Weg gebracht worden. Es wurde eine Grundgesetzänderung gefordert auf der Grundlage der Erkenntnis, dass die Großen Menschenaffen ähnlich empfindungs- und leidensfähig sind wie der Mensch, Selbstbewusstsein besitzen und zu vorausschauendem Denken und intelligentem sowie altruistischem Handeln befähigt sind.
Folglich müssten sie einen Rechtsstatus erhalten, der der „Menschenwürde“ nahe kommt und durch Gesetze mit Verfassungsrang geschützt werden. Das Grundgesetz solle in Artikel 20a, der dem Tierschutz Verfassungsrang zumisst, wie folgt ergänzt werden: „Das Recht der Großen Menschenaffen auf persönliche Freiheit, auf Leben und körperliche Unversehrtheit wird geschützt.“ In Zusammenhang mit dieser Grundgesetzänderung müsse auch das Tierschutzgesetz überarbeitet werden. So solle § 8 des Tierschutzgesetzes eine klarstellende Regelung enthalten: „Tierversuche an Menschenaffen sind verboten.“
Erwartungsgemäß wurde der an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages gerichtete Antrag nach über einjähriger Beratungszeit abgelehnt. Desungeachtet vermochte die Initiative die gesellschaftliche Debatte über Tierethik stark voranzutreiben. Eine Neuauflage der Grundgesetzinitiative ist für die nahe Zukunft geplant.
23. Herr Goldner, Sie engagieren sich im Rahmen des Great Ape Project (GAP) dafür, dass Menschenaffen besondere Rechte zugestanden werden. Ist das nicht an sich auch spezieszistisch? Was ist mit den anderen Tieren, die zahlenmäßig noch mehr von der Ausbeutung durch den Menschen betroffen sind?
Zur in Tierrechtskreisen viel und kontrovers diskutierten Frage, was den Einsatz gerade für Menschenaffen rechtfertigt, durch deren allfälligen Einbezug in die Rechtsgemeinschaft der Menschen sich nur die Grenzlinie verschöbe und nun Menschen und Menschenaffen auf der einen von allen anderen Tieren auf der anderen Seite trennte, woraus letztere keinerlei Nutzen bezögen, ist in aller Pragmatik zu sagen: irgendwo muß man anfangen. Zudem, und das ist das Entscheidende, stellen Menschenaffen den Dreh- und Angelpunkt des Verhältnisses Mensch-Natur dar, sie definieren wie nichts und niemand sonst die sakrosankte Grenzlinie zwischen Mensch und Tier: sind sie festgeschrieben „auf der anderen Seite“, sind das alle anderen Tiere mit ihnen. Würde die Grenze an einer Stelle durchlässig, könnte das eine Art „Türöffner“ sein, der letztlich allen Tieren zugute käme.
Ist erst einmal Bewusstsein dafür geschaffen, dass den Menschenaffen bestimmte Grundrechte zustehen, können auch die Interessen anderer Tiere nicht mehr übergangen werden. Es wäre dies ein revolutionärer erster Schritt hin zu einem radikalen Wandel des gesellschaftlichen Konsenses über das Verhältnis des Menschen zu nicht-menschlichen Tieren.
Tatsächlich löst sich die vielgeäußerte Befürchtung, die Großen Menschenaffen würden ihrer Nähe zum Menschen wegen privilegiert, was eine Fortschreibung des anthropozentrischen Speziesismus bedeutete, bei näherer Hinsicht in Luft auf: die vermeintliche Bevorzugung von Gorilla, Orang Utan & Co ist ausschließlich in pragmatischen bzw. strategischen Überlegungen begründet, die gleichwohl auf ebendieser Nähe basieren und sie sich zunutze machen: Die Willkürlichkeit der Spezieszugehörigkeit als moralisches Kriterium tritt naturgemäß dort am deutlichsten in Erscheinung, wo die faktischen Unterschiede zwischen den Spezies am geringsten sind. In anderen Worten: es gibt gerade bei den Großen Menschenaffen – weniger als bei jedem anderen Tier – kein ethisch haltbares Argument, ihnen Rechte vorzuenthalten, die jedem Menschen ganz selbstverständlich zustehen.
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Missstände in Zirkussen und Zoos melden: Um Missstände in Zoos anonym melden zu können, hat Colin Goldner zusammen mit dem Bundesverband eine Anlaufstelle geschaffen. Mit diesem Aufruf zum „Whistleblowing“ sollen Menschen, die Zoos besonders gut kennen, wie beispielsweise TierpflegerInnen, PraktikantInnen, Hilfskräfte, Azubis, (Amts-)Tierärzte, Zulieferer, Verwaltungsangestellte etc, ermutigt werden, Missstände zu melden und sie so an die Öffentlichkeit zu bringen.