Tierschutz-Verbandsklage

Die Tierschutz-Verbandsklage in der Praxis

Ganz ehrlich: Die Tierschutz-Verbandsklage ist kompliziert und anstrengend. Das lässt sich durch nichts schön reden! Sie ist aber unumgänglich, denn sie ist essenzielles Handwerkszeug unserer Demokratie und loyales Mittel zur Entwicklung des Tierschutzes. Was vermag sie im Tierschutzalltag zu ändern? Einige Praxisbeispiele sollen dies beleuchten.

Beispiel „Legebatterie“
Legebatterien sind das Symbolthema für Tierquälerei in der Landwirtschaft. Jede Henne hat darin nur eine ¾ DIN A 4 Seite Platz. Es liegt auf der Hand, dass diese Haltung tierquälerisch ist und gegen das Tierschutzgesetz verstößt. Denn das fordert schon seit 1972, Tiere artgerecht zu halten. Trotzdem wurde die Legebatterie 1987 gegen den massiven Widerstand der Tierschutzorganisationen und auch der Bundestierschutzkommission erlaubt. Das war deshalb möglich, weil das Tierschutzgesetz zwar eine tiergerechte Haltung fordert, dabei aber offen lässt, wie diese Haltung auszusehen hat. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen ließ die Hennenhaltungsverordnung umgehend auf ihre Vereinbarkeit mit dem Tierschutzgesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüfen (Normenkontrollverfahren). Erst nach12 Jahren hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 6. Juli 1999 festgestellt, dass diese Käfige gegen das Tierschutzgesetz verstoßen und rechtswidrig sind. Doch 2006 ließ der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Seehofer stattdessen etwas größere Hennenkäfige (jetzt beschönigend „Kleingruppenhaltung“ genannt) zu.

Normenkontrollklage gegen den Batterie-Käfig
Im Juni 2007 war es Rheinland-Pfalz, das ein Normenkontrollverfahren gegen diese neue Art der Käfighaltung beim Bundesverfassungsgericht anstrengte. Im Oktober 2010 erklärte das höchste deutsche Gericht die Kleingruppenhaltung von Legehennen für unvereinbar mit dem Staatsziel Tierschutz, allein schon deshalb, weil die Bundestierschutzkommission nicht ordnungsgemäß angehört worden war. Beide Urteile kamen nur zustande, weil Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz die Überprüfung der Haltungsvorgaben beim Bundesverfassungsgericht beantragten. Viele hundert Millionen Hühner wurden seit 1987 in Käfigen gequält, obwohl diese von Anfang an gegen unser Tierschutzgesetz verstoßen haben.

Tiergerechte Unterbringung nach Tierschutzgesetz
Hätte es 1987 die Tierschutz-Verbandsklage gegeben, dann hätte ein anerkannter klageberechtigter Tierschutzverein bei der Errichtung der ersten Stallanlage bereits tätig werden können. Schon im Verlauf des Baugenehmigungsverfahrens hätte er von den Behörden die tiergerechte Unterbringung einfordern können, die unser Tierschutzgesetz in § 2 fordert, aber nicht konkret ausführt. Der klagebefugte Verein hätte ein wesentlich größeres Platzangebot, Nester und erhöhte Sitzstangen verlangen und dies mit wissenschaftlichen Untersuchungen belegen können. Wäre die Behörde den Eingaben des anerkannten Vereins nicht oder nur teilweise gefolgt, hätte der Verein in letzter Konsequenz beim Verwaltungsgericht Klage gegen den Bau der Anlage einreichen können. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte schon damals ein Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Batteriekäfige gegen § 2 des Tierschutzgesetzes verstoßen.

Hennenhaltungsverordnung wäre frühzeitig für nichtig erklärt worden
Die Hennenhaltungsverordnung wäre schon frühzeitig für nichtig erklärt worden. Vermutlich hätte bereits die Existenz der Tierschutz-Verbandsklage 2006 verhindert, dass der „Seehofer-Käfig“ (sog. Kleingruppenhaltung) überhaupt eingeführt werden konnte. Falls nicht, hätten anerkannte Tierschutzorganisationen bei der Errichtung des ersten Stallgebäudes bei der Behörde im Rahmen ihrer Mitwirkungsrechte belegen können, weshalb der „Seehofer-Käfig“ mit § 2 Tierschutzgesetz nicht vereinbar ist. Hätte die Behörde den Stallbau ohne Berücksichtigung der Haltungsanforderungen des klagebefugten Vereins genehmigt, so hätte der Verein Klage beim Verwaltungsgericht einreichen können. Die Tierschutz-Verbandsklage hätte also frühzeitig Rechtsklarheit hergestellt und jedes Jahr 40 Millionen Hühnern schwerste Leiden erspart.

Beispiel Zirkus
Eine artgerechte Haltung von Elefanten im Zirkus ist nicht möglich. Ständige Transporte, unbeheizte Stallzelte im Winter, Fußfesseln, kein Auslauf oder auch eine schlechte Ernährung lassen die Elefanten langsam und über Jahre sterben. Die Elefantenhaltung im Zirkus Giovanni Althoff verstieß 20 Jahre (von 1984 bis 2005) gegen Tierschutzanforderungen. Obwohl Tierschutzorganisationen dies den Behörden immer wieder meldeten, haben die Amtstierärzte Tierschutzrecht nicht durchgesetzt. Als dann 2005 die schwerkranke Maja von Amtsveterinären dem Zirkus endlich weggenommen und in eine bessere Haltung gebracht wurde, war es schon zu spät. Sie starb wenige Monate später. Vier weitere ebenfalls nicht gesunde Elefanten, die später eingezogen werden sollten, ließ der Zirkus in einer Nacht- und Nebelaktion verschwinden. Nur ein Elefant wurde in Frankreich gefunden und dann in einen deutschen Zoo verbracht. Von den drei anderen Elefanten fehlt bis heute jede Spur.

Was hätte die Verbandsklage hier geändert?
Ein klageberechtigter Verein hätte frühzeitig die zahlreichen tierschutzrelevanten Hinweise aus der Bevölkerung und die eigenen Rechercheergebnisse bei den Behörden vorlegen können. Aufgrund seiner Mitwirkungsrechte, die dem Klagerecht vorgeschaltet sind, hätte der anerkannte Verein schon bei den ersten Vorkommnissen von der Behörde fordern können, höhere Auflagen für die Elefantenhaltung zu erteilen und vor allem auch durchzusetzen. Bei Nicht-Erfüllung der Auflagen hätten Konsequenzen wie Beschlagnahme und Einzug der Tiere erfolgen müssen. Wäre die Behörde den Eingaben des anerkannten Vereins nicht gefolgt, hätte dieser als letzte Maßnahme Klage beim Verwaltungsgericht gegen die jeweilige Behörde eingereicht. Die Amtstierärzte hätten Tierleid beizeiten verhindern können und hätten nicht über 20 Jahre bis zum entscheidenden Durchgriff gebraucht. Anders ausgedrückt: Die Amtstierärzte hätten frühzeitig mutiger durchgegriffen, weil sie gewusst hätten, dass ihnen bei Untätigkeit die Klage von einem Tierschutzverein droht.

Veterinärämter verschlossen die Augen
Auch den zwei Schimpansen Bobbi und Wilma und dem Orang-Utan Jessy hätte mit der Tierschutz-Verbandsklage früher geholfen werden können. Die drei Menschenaffen wurden vom Universalzirkus Renz über zehn Jahre in einem Menageriewagen auf sechs Quadratmeter Bodenfläche durch die Gegend gekarrt. Ein Veterinäramt nach dem anderen verschloss die Augen vor dieser rechtswidrigen Tierhaltung. Hätte es 1994, als unser Mitgliedsverein Menschen für Tierrechte Schleswig-Holstein diese skandalöse Haltung von Bobbi, Wilma und Jessy bei einem Gastspiel des Zirkus Renz in Lübeck entdeckte, die Tierschutz-Verbandsklage bereits gegeben, dann hätte ein klagebefugter Verein im Rahmen seiner Mitwirkungsrechte auf die Veterinärbehörde einwirken können, die Tiere zu beschlagnahmen und einzuziehen. Anderenfalls hätte eine Klage des anerkannten Vereins vor dem Verwaltungsgericht gedroht. Tatsächlich hat das Lübecker Veterinäramt aber nicht gehandelt, sondern den Zirkus unbehelligt weiterziehen lassen. Die Affen-Odyssee fand erst 1998 ein Ende, als Renz die Affen verkaufte. Dank der Kooperation eines Veterinäramtes und des neuen Affeneigentümers konnte unser Bundesverband die Schimpansen 1999 in die Obhut von Stichting AAP (der niederländischen Auffangstation für Wildtiere) übergeben.

Beispiel private Tierhaltung – Bürger entdecken Tierschutzmissstände
Tagtäglich beobachten Bürger, dass Tiere schlecht gehalten oder misshandelt werden. Sie melden die Vorgänge den örtlichen Tierschutzvereinen, damit den Tieren geholfen wird. Der informierte Verein nimmt in der Regel Kontakt mit der zuständigen Veterinärbehörde auf und bittet das Veterinäramt, tätig zu werden. Der Verein hat keinen Anspruch darauf, zu erfahren, ob und in welchem Umfang das Veterinäramt im vorgetragenen Fall Tierschutzrecht schließlich durchgesetzt hat und wie den betroffen Tieren tatsächlich geholfen werden konnte.

Katastrophale Haltungsbedingungen
Der nachstehende Fall aus Sachsen-Anhalt, den unser Mitgliedsverein Tierschutz Halle erlebt hat, gibt ein gutes Beispiel dafür, wie Tierschutz in Theorie und Praxis auseinanderklafft. Mehrere Bürger wendeten sich an unseren Mitgliedsverein Tierschutz Halle. Sie hatten beobachtet, dass eine Person Hunde und Katzen in einem Raum unter katastrophalen Bedingungen hält. Der Verein hatte umgehend, nachdem er von Bürgern über diese miserable Tierhaltung informiert wurde, das Veterinäramt um Einschreiten gebeten. Doch das zuständige Amt sah keinen Handlungsbedarf, da die Tiere noch mit Futter versorgt würden. Glücklicherweise gelang es dem Tierschutz Halle, sich die Tierhaltung anzusehen: neun Katzen und zwei Hunde vegetierten in einem kleinen Raum, der völlig verkotet und vermüllt war. Die beiden Hunde waren jeweils an zwei Meter langen Stricken angebunden und wurden niemals ausgeführt. Sie mussten genau wie die neun Katzen auf diesen wenigen Quadratmetern vegetieren. Der Raum war voller Fliegen und der Gestank unerträglich. Ein Hund litt an einer massiven Flohspeichelallergie und hatte das Fell fast vollständig verloren. Alle Tiere waren von Parasiten befallen. Dem Verein gelang es, die Tiere zu übernehmen. Die tierärztliche Untersuchung ergab, dass vier Katzen so schwer erkrankt waren, dass sie eingeschläfert werden mussten.

Was hätte die Tierschutz-Verbandsklage hier geändert?
Sobald die Meldungen der Bürger beim Tierschutz Halle eingetroffen waren, hätte der Verein, sofern er selbst als klagebefugt anerkannt gewesen wäre, umgehend Kontakt mit dem zuständigen Veterinäramt aufnehmen und Akteneinsicht verlangen können. Er hätte feststellen können, ob diese Tierhaltung vom Veterinäramt schon kontrolliert wurde und welche Auflagen das Amt erteilt hat. Dieses Recht zur Einsicht in die Vorgänge legt das Gesetz zur Tierschutz-Verbandsklage ausdrücklich fest. Der klagebefugte Verein hätte dann gegenüber dem Veterinäramt einbringen können, welche Anordnungen er für richtig hält. Wäre das Amt diesen Anregungen nicht gefolgt, so hätte der Verein in letzter Konsequenz Klage beim Verwaltungsgericht einreichen können. Den Tieren hätte mit sehr großer Wahrscheinlichkeit sehr viel schneller geholfen werden können. Falls der Tierschutz Halle keine Anerkennung als klagebefugter Verband gehabt hätte, so hätte er sich an einen klageberechtigten Verein wenden können, damit dieser sich umgehend in den Vorgang hätte einbringen können.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass die anerkannten Vereine nach wie vor auf Meldungen von Bürgerinnen und Bürgern über tierschutzwidrige Zustände auch in Zukunft angewiesen sind. Daran ändert auch das Klagerecht nichts. Die Stärke der Tierschutz-Verbandsklage liegt ohne Frage auf den Mitwirkungs- und Informationsrechten, die der Klage sinnvollerweise vorgeschaltet sind. Diese Rechte erlauben dem anerkannten Verein, Einsicht in die Akten zu nehmen, Auskünfte von den Behörden einzuholen und Anregungen zur Durchsetzung der Tierschutzbestimmungen zu geben. Auf die Klage kann dennoch nicht verzichtet werden, doch bleibt sie das letzte Druckmittel.

Verbandsklage fördert Kooperation im Sinne der Tiere
Die Tierschutz-Verbandsklage fördert das Zusammenwirken von Bürgern, die Tierschutzmissstände beobachten, klagebefugten Vereinen und den Vollzugsbehörden. Sie fördert in erster Linie das kooperative Zusammenwirken für den Tierschutz und ist keinesfalls ein Instrument zur Kriminalisierung der Amtsveterinäre.