Agrar- und Ernährungswende Interviews

Interview: „Es ist höchste Zeit, gesunde Lebensmittel ohne Tierhaltung zu erzeugen!“

Anja Bonzheim hat Ökolandbau und Vermarktung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde(FH) studiert. In ihrer Abschlussarbeit beschäftigte sie sich schwerpunktmäßig mit dem Thema bio-vegane Landwirtschaft in Deutschland. tierrechte sprach mit ihr.

Tierrechte: Frau Bonzheim, wie kamen Sie darauf, Ihre Abschlussarbeit über das Thema bio-vegane Landwirtschaft zu schreiben?

Anja Bonzheim: In meinem Bachelor-Studium „Ökolandbau und Vermarktung“ stellte ich fest, dass es auf die katastrophalen Zustände in der konventionellen Landwirtschaft zwei alternative Antworten gibt: die vegane Bewegung auf der einen, und die biologische Landwirtschaft mit „artgerechter“ Nutzung von Tieren auf der anderen Seite. Während des Studiums musste ich feststellen, dass ich auch diese Form der Nutzung von Tieren nicht gutheißen kann. Die bio-vegane Landwirtschaft interessierte mich, weil sie versucht, die biologische Bewirtschaftung mit den ethischen und ökologischen Argumenten vegan lebender Menschen zu verbinden. Daher wollte ich – neben meinem persönlichen Interesse – gerne einen kleinen Teil dazu beitragen, den Menschen diese Form der Landwirtschaft näher zu bringen.

Foto: berggeist007/pixelio.de

Tierrechte: Was motiviert die von Ihnen befragten Landwirte, ihr Land bio-vegan zu bewirtschaften?

Anja Bonzheim: Die Landwirte* handeln alle aus einem gesamtgesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein heraus. Kritisiert werden sowohl der Umgang mit den Tieren durch den Menschen, als auch die Verwendung von tierischem Handelsdünger aus großen Schlachthöfen. Der Wunsch, sich von der Tierhaltung aus moralischen Gründen zu entkoppeln, spielt also eine grundlegende Rolle. Sehr am Herzen liegt allen befragten Landwirten auch der Klima- und Umweltschutz sowie die Verringerung des Ressourcenverbrauchs weltweit.

Tierrechte: Wie verbreitet ist diese Anbaumethode in und außerhalb Deutschlands?

Anja Bonzheim: Momentan steckt die bio-vegane Landwirtschaft noch in den Kinderschuhen. Im deutschsprachigen Raum wirtschaften etwa zehn Betriebe bio-vegan, dazu kommen mehrere CSA-Projekte und Hofgemeinschaften, die sich in der Gründungs- oder Umstellungsphase zu bio-veganer Bewirtschaftung befinden. (Anm. der Redaktion: Community Supported Agriculture (CSA) sind gemeinschaftsbasierte Landwirtschafts-Projekte). Da es keine empirische quantitative Studie gibt, kann die Anzahl der Betriebe bisher nur geschätzt werden. Noch fehlen im deutschen Sprachraum ein Anbauverband und einheitliche Anbauregeln für die bio-vegane Produktion.

Tierrechte: Gibt es Vorbilder aus anderen Ländern, wie die bio-vegane Landwirtschaft gefördert werden könnte?

Anja Bonzheim: Seit 1996 existiert in England das Vegan Organic Network (VON), eine gemeinnützige Organisation, die sich mitunter zum Ziel gesetzt hat, über die bio-vegane Anbauweise zu informieren und zu forschen. Dieses verabschiedete im Jahre 2004 die „Stockfree-Organic-Standards“, dies sind Anbaurichtlinien für bio-vegan wirtschaftende Betriebe. Bei Einhaltung besteht die Möglichkeit der Zertifizierung mit dem „Stockfree- Organic“-Label. Auch in Nordamerika existieren vergleichbare Richtlinien und das „Certified Veganic“-Label, sowie ein amerikanisches Netzwerk, das sich Veganic Agriculture Network nennt.

Tierrechte: Mit welchen Problemen und Herausforderungen sind bio-vegan wirtschaftende Höfe konfrontiert?

Anja Bonzheim: Die Herausforderungen liegen für die Landwirte vor allem im Bereich der Stickstoffversorgung. Wenn der Umweg über das Tier wegfällt und der Dung nicht als Stickstoffquelle zur Verfügung steht, muss die Stickstoffversorgung durch eine effiziente Fruchtfolgegestaltung mit ausreichend N-bindenden Leguminosen sichergestellt werden. Dadurch, dass bio-vegane Betriebe aber keine Tiere halten, brauchen sie eine andere Verwendungsmöglichkeit für den Futterleguminosenaufwuchs, da fehlt es bisher an angepassten Lösungen, diesen sinnvoll zu verwerten. Pflanzliche Handelsdünger sind zudem teurer als die Abfälle aus den Schlachthöfen. Dies führt dazu, dass die bio-vegane Bewirtschaftung aktuell noch ökonomische Nachteile für die Erzeuger mit sich bringt.

Tierrechte: Halten Sie es für möglich, eine Entkopplung des bio-veganen Anbaus von der sogenannten Nutztierhaltung zu erreichen?

Anja Bonzheim: Eine völlige Entkopplung ist sehr schwierig, solange die Nutztierhaltung gang und gäbe ist. Schließlich essen wir bisher alle Lebensmittel, die in den allermeisten Fällen nicht bio-vegan produziert wurden. Für mich ist klar: Nur wenn entsprechende Strukturen aufgebaut werden, welche den Mehrwert dieser Art der Landwirtschaft würdigen, können sich die Landwirte dauerhaft unabhängig machen. Dies könnte beispielsweise durch CSA erfolgen, die den Erzeugern eine gesicherte Abnahme und Zahlungsgarantie sowie den Abnehmern Qualität aus der Region und Transparenz gewährleistet. Die Besonderheit dieses Anbausystems muss mehr in der Vordergrund gerückt werden, sei es auf Grundlage von CSA oder eben durch politische Unterstützung und Verbandsstrukturen.

Tierrechte: Welche Form der Unterstützung bräuchten die bio-vegan wirtschaftenden Landwirte von der Politik, den entsprechenden Verbänden, der Wissenschaft und den Verbrauchern?

Anja Bonzheim: Politisch gesehen stellt sich für mich die starke Subventionierung der tierischen Produktion das größte Manko dar. Billige tierische Handelsdünger drücken die Preise. Das dürfte nicht so sein: Bio-vegane Landwirtschaft ist nachhaltig und ökologisch sehr sinnvoll, staatliche Subventionierung müsste nach solchen Kriterien aufgebaut sein. Zielführend wären zudem gezielte Förderprogramme. Auf Verbandsebene wäre eine Öffnung gegenüber dem Ökolandbau ohne Nutztiere sinnvoll. Auch die Gründung eines eigenen Anbauverbandes mit speziellen Richtlinien, Kontrollen und die Zertifizierung durch ein eigenes Label wären erstrebenswert.
Von Seiten der Wissenschaft bräuchte es meiner Ansicht nach noch sehr viel Forschung, wie eine quantitative Aufnahme bestehender Betriebe oder Langzeit-Studien zur N-Versorgung ohne tierischen Dünger. Um die bio-veganen Betrieben ökonomisch sicher aufzustellen, ist die Aufklärung der Verbraucher essentiell. Viele vegan lebende Menschen wissen nicht, dass fast immer tierische Düngemittel für ihr veganes Essen eingesetzt werden. Erst wenn hier eine Sensibilisierung stattgefunden hat, können Verbraucherbedürfnisse kommuniziert werden und mit der Vermarktung gekennzeichneter biologisch-veganer Produkte Hand in Hand gehen.

Tierrechte: Was müssten die Landwirte selbst leisten?

Anja Bonzheim: Die Vernetzung ist entscheidend. Landwirte könnten ihre Kräfte bündeln, indem sie z.B. mit dem biologisch-veganen Netzwerk zusammenarbeiten und langfristige Strategien zur Etablierung auf dem Markt entwickeln. Doch zunächst heißt es lokal wirken, über die ethischen und ökologischen Motive aufklären und den Mehrwert der Produkte nach außen kommunizieren. Je mehr Betriebe so wirtschaften und mit der Thematik auch an Anbauverbände und die Politik herantreten, umso besser ist die Wirkung nach außen und umso mehr wächst der Bekanntheitsgrad.

Tierrechte: Welche Perspektiven sehen Sie für diese Form der Landbewirtschaftung für die Zukunft?

Anja Bonzheim: In Anbetracht der steigenden Nachfrage ist davon auszugehen, dass sich hierzulande weitere Betriebe auf diese Schiene begeben, zumal fast 25 Prozent der Biobetriebe bereits ohne Nutztiere wirtschaften, bisher aber noch tierische Düngemittel verwenden. Es wäre ihnen also ein Leichtes, bei entsprechendem ökonomischem Anreiz auf „biologisch-vegan“ umzustellen. Auch in Fragen der Ökologie und des Klimawandels gibt es Potenziale, da diese Form des Landbaus sehr ressourcenschonend und ökologisch ist. Weite Fruchtfolgen und eine große Anbauvielfalt sind gut für den Boden und damit gut für die Lebensmittel, die erzeugt werden. Die bio-vegane Landwirtschaft ist ganzheitlich, glaubwürdig und nachhaltig.

Tierrechte: Halten Sie die bio-vegane Landwirtschaft unter optimalen Bedingungen für geeignet, eine Lösung auf die globalen Herausforderungen wie Bevölkerungsexplosion, Treibhauseffekt, Wasserverbrauch, etc. zu bieten?

Anja Bonzheim: Selbstverständlich. Bei bio-veganer Bewirtschaftung können unglaublich viele Ressourcen und Energie eingespart werden, viel weniger Land ist nötig, um mehr Menschen ernähren zu können. Dass die Treibhausemissionen aus der Tierhaltung diejenigen sind, die mit 18 Prozent den größten Beitrag zum Klimawandel leisten, dürfte mittlerweile auch bekannt sein. Aber Vorsicht: Natürlich gibt es Regionen, welche völlig ungeeignet für den Pflanzenbau sind. Keiner spricht davon, in der Wüste Gemüse anzubauen. Mir stellt sich eher die Frage: Wo könnten wir ohne Probleme bio-vegan produzieren? In weiten Teilen der „westlichen Welt“ wäre es möglich, kleinstrukturiert und vielfältig ohne die Tierhaltung gesunde Lebensmittel herzustellen. Warum also nicht unseren Teil zur Lösung immer größer werdender globaler Probleme leisten? Es ist höchste Zeit. Alle (Nutz-)Tiere werden dem still zustimmen.

Die Fragen stellte Christina Ledermann